Kölner Kreuzigung
des Mannes und drückte ihn sanft in einen Stuhl vor Hannes Bergkamps Schreibtisch. »Es heißt, Ihr seid auf der Suche nach einem, der sich Matteo Lucca nennt? Den haben wir auf der Domplatte für Euch aufgelesen.«
»Er hat dem Kardinal gepredigt«, schob sein Kollege hinterher und lachend verließen die beiden Beamten das Büro.
Paula Wagner musterte Matteo Lucca aufmerksam. Der Mann trug ein nicht mehr ganz weißes Leinenhemd, eine weite Hose aus einem ähnlichen Stoff, und wie sie beim Reinkommen gesehen hatte, offene Sandalen. Er konnte keine Sekunde stillsitzen, immer war irgendetwas an ihm in Bewegung, die Augen, die Hände, die Finger, die Beine, der Kopf. Seine Haare waren lang und standen in alle Richtungen ab, rasiert hatte er sich schon länger nicht mehr. Gewaschen auch nicht, wie sie aus seinem Körpergeruch schloss, der sie an eine Wohnung in Ehrenfeld denken ließ.
»Nun, wir hätten da ein paar Fragen an Sie.« Wie von der Tarantel gestochen sprang Matteo Lucca auf. Mit einer überraschend schnellen Bewegung war Hannes Bergkamp bei ihm und drückte ihn sanft, aber bestimmt in den Stuhl zurück.
»Von nun an werdet ihr den Menschensohn sehen, sitzend zur Rechten der Kraft und kommend auf den Wolken des Himmels«, zitierte er. Hannes Bergkamp stand an seinem Schreibtisch und machte sich die Hände mit einem Erfrischungstuch aus seiner Schublade sauber.
»Das Matthäus-Evangelium, richtig?«, fragte Paula Wagner höflich, und das einzige Mal in ihrem Gespräch saß Matteo Lucca still da und blickte sie an. Doch die Ruhe hielt nur kurz. Dann sprang der Mann im Leinenhemd erneut auf. Diesmal bewegte sich Hannes Bergkamp nicht. Die beiden Polizisten ließen ihn gewähren und beobachteten ihn stumm, wie er um ihre Schreibtische hinkte. Dieser Mann konnte niemanden an ein Kreuz nageln, dachte Paula Wagner und strich seinen Namen von der Liste ihrer Verdächtigen, auf der damit nur noch ein Name übrig blieb.
Ein Rascheln weckte ihn erneut auf. Wieder brauchte Marius einige Momente, ehe er wusste, wo er sich befand. Immer noch umgab ihn völlige Dunkelheit. Aber etwas war da. Wieder raschelte es.
Marius versuchte das Geräusch zu orten, es kam draußen aus dem Gang. Vielleicht waren es Ratten, er wusste es nicht. Jetzt hörte er das Geräusch wieder, es kam näher. Ein Rascheln – und nun hörte er auch ein leises Schnüffeln. Er zuckte kurz zurück, merkte erneut die Schmerzen, als etwas Kaltes ihn durch die Gitterstäbe hindurch berührte. Auch wenn sich seine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er kaum etwas erkennen. Er ahnte die Bewegung auf der anderen Seite der Gitterstäbe mehr, vielleicht bildete er sie sich auch nur ein. Nur dem Geräusch konnte er vertrauen.
Er versuchte nach dem Tier zu greifen, aber es lief wieder ein Stück weit weg. Marius hörte es bellen, hell und aufgeregt. Ein Hund, und wo ein Hund war, war auch ein Mensch. Marius rief, er hörte schwere Schritte. Für einen Moment packte ihn wieder die Panik. Was, wenn sein Angreifer zurückgekommen war? Er war kaum in der Lage sich zu wehren, erinnerte sich erneut mit Erschrecken daran, dass er sich überhaupt nicht gewehrt hatte, als der Angreifer ihn mit dem Brecheisen zusammengeschlagen hatte.
Was war da mit ihm los gewesen? Er hatte wie versteinert alles über sich ergehen lassen. Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass er überhaupt noch lebte.
Die Schritte kamen näher, eilig und dennoch schlurfend auf dem unsicheren und dunklen Grund des Stollens. Wenige Minuten später leuchtete eine Taschenlampe Marius direkt ins Gesicht. Er hielt die Hand vor die Augen, aber auch so konnte er nur eine Silhouette hinter dem Lichtschein wahrnehmen. Was ihn beruhigte, war die braune Hundeschnauze, die sich erneut durch das Gitter nach vorne schob. Wer auch immer ihn zusammengeschlagen hatte, er hatte bestimmt keinen fröhlich hechelnden Jagdhund an seiner Seite.
30
»Sie haben Glück gehabt, dass das Eisentor am Eingang der Grube aufgebrochen war. Sonst hätte ich nicht hereingeschaut und Sie wären wahrscheinlich erst in ein paar Wochen gefunden worden. Verdurstet vermutlich!«, erklärte der Förster, der Marius in seinem Gefängnis im Berg entdeckt und schließlich einen Mitarbeiter der Stadt geholt hatte, um die Gittertür mit einem Dietrich zu öffnen.
Marius resümierte, dass sich Einbruch manchmal doch lohnte, außerdem war er überaus erleichtert, wieder frei und der Dunkelheit entkommen zu sein.
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