Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
Sein Klient brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Schließlich erhob er sich. Marius meinte, seine Gelenke knacken zu hören.
»Geht es los?«, fragte der hagere Mann, der im Morgenlicht noch blasser und kränklicher wirkte. Der Detektiv nickte. Sie gingen zum Auto und fuhren in die Stadt hinein. »Wo fangen wir an?«
»Bei der Polizei!«
»Eine gute Idee für jemanden, der wegen Mordes gesucht wird!«
Marius hatte vergeblich auf ein paar Wegweiser gehofft, die ihn zur Polizeistation führen würden. Seine Versuche, die frühmorgendlichen Passanten zu befragen, waren ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich parkte er den MG vor einer großen Kirche. »Wenn einem niemand mehr helfen kann, hilft einem Gott«, grinste Marius seinen Begleiter an, der angewidert den Mundwinkel verzog.
»Ich habe meine Kindheit im Del Bosco Heim verbracht. Mein Bedarf an Gottes Hilfe ist für den Rest meines Lebens gedeckt.«
»Dann warten Sie hier auf mich«, antwortete der Detektiv. Er ging um die Kirche herum zum Eingang. Drinnen sah er einen Priester am Altar, der sich offenbar auf seinen Frühgottesdienst vorbereitete. Marius rief ihn vom Eingang aus. Seine Stimme hallte, auch wenn der Bau weit weniger hoch war als die Kirchen, die er aus Köln kannte. Überrascht und leicht indigniert drehte sich der Priester vom Tabernakel um und sah Marius durch zwei dicke Brillengläser an. In der Sakristei hörte er jemanden arbeiten. Vermutlich einen Küster.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Priester auf Deutsch und die Geräusche in der Sakristei verstummten
»Ich suche die Polizeistation, Vater.«
Der indignierte Ausdruck im Gesicht des Priesters wich echter Sorge. »Ist Ihnen etwas passiert?«
Marius schüttelte den Kopf. »Nein, nichts Schlimmes! Aber wo finde ich hier im Ort eine Polizeiwache?«
Ein kurzes Lächeln huschte über das alte, breite Gesicht. »Gar nicht. Wir kommen ganz gut ohne aus. Die nächste Polizeistation ist in Bredene an der Centrumplein. Im Nachbarort«, erläuterte er weiter, nachdem er Marius’ fragenden Blick gesehen hatte. »Sie fahren über die N 34 an der Küste entlang in Richtung Oostende, in Bredene links. Etwa eine Viertelstunde werden Sie brauchen.«
Fünfzehn Minuten später standen sie vor der Polizeiwache im Nachbarort und rieben sich verwundert die Augen. Marius hatte einen Platz inmitten eines kleinen Städtchens erwartet. Stattdessen war der helle Ziegelbau mit den blauen Fenstern von Wiesen umgeben. Drinnen empfing sie nüchterne Freundlichkeit in Einrichtung und Blicken der Beamten, deren Überraschung über den kräftigen Mann im vom Schlaf im Sportwagen zerknitterten Anzug und seinen hageren Begleiter mit Plastiktüte unverhohlen und offen herüberkam.
»Hoe mag ik Uw helpen, mijne Heren?«, begrüßte sie der uniformierte Beamte hinter dem Empfangsschalter der kleinen Wache freundlich auf Flämisch.
Marius holte den laminierten Chargesheimer aus seiner Mappe und legte ihn vor dem Polizisten auf den Tresen. »Sprechen Sie vielleicht Deutsch?«
»Es wird schon gehen«, antwortete der Polizist mit leichtem Akzent und einem Lächeln.
»Danke, das macht es mir einfacher. Wir suchen diesen Mann. Er dürfte heute deutlich über siebzig sein und es wäre möglich, dass er in De Haan lebt.«
Der Polizist nahm das Bild und betrachte den jungen Siggi Baumgart eine Zeit lang. »Was liegt gegen diesen Mann vor?«
»Er ist mein Vater«, antwortete Vinzenz.
»Das ist kein Verbrechen. Zumindest nicht in unserem Land. Was wollen Sie von Ihrem Vater?«
»Mein Freund hier sucht ihn seit bald dreißig Jahren. Er ist im Waisenhaus aufgewachsen und möchte einfach einmal seinen Eltern begegnen.«
Der Beamte schaute Vinzenz lange an, seine Tränensäcke verliehen ihm etwas Trauriges. »Ich würde Ihnen gerne helfen. Aber ich kann nicht.«
»Wieso nicht?«, fuhr Vinzenz ihn an, Marius hob beschwichtigend die Hand. Doch der Polizist schien sich nicht angegriffen zu fühlen.
»Wenn er kein Verbrechen begangen hat, darf ich Ihnen keine Auskunft geben. Tut mir leid.«
Marius rechnete mit einem neuerlichen Ausbruch seines Klienten, aber Vinzenz stand nur da, hatte die Schultern gesenkt und starrte ins Leere. Marius drehte sich um. »Komm, wir finden ihn auch so.« Wortlos folgte sein Klient ihm, Marius hörte seinen schleppenden Schritt hinter sich. Als sie an der Tür waren, rief der Polizist ihnen nach. »Sie sollten den Pfarrer in De Haan fragen. Der kennt eigentlich
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