Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
jeden.«
Marius drehte sich um, blickte den Polizisten kurz an und sagte »Danke«. Mit einem mulmigen Gefühl beschleunigte er seinen Gang. Vinzenz, immer noch frustriert, blieb zurück.
»Komm schon«, fuhr Marius ihn an, »wir haben es eilig.«
»Warum?«
»Weil uns die Zeit davonläuft«, antwortete Marius. In Gedanken war er bereits woanders. In Gedanken war er bei der Stille in der Sakristei.
44
Es dauerte keine Viertelstunde bis Marius den kleinen MG zum zweiten Mal an diesem Tag vor der Kirche parkte. Inzwischen war die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen und tauchte den kleinen Park hinter dem Bau in ein freundliches Licht. Mit ihr war auch der Wind gekommen, der den Wagen leicht schüttelte.
»Diesmal sollten Sie mitkommen.«
»Auf gar keinen Fall. Ich gehe in keine Kirche. Nie!«
»Es könnte helfen, wenn Sie dabei sind.«
»Ich wüsste nicht, inwieweit ich hier helfen könnte. Außerdem bezahle ich Sie, damit Sie meinen Vater finden. Wenn ich das allein könnte, müsste ich Sie nicht beauftragen.«
Marius seufzte. Er hatte die Hände noch auf dem Lenkrad und trommelte leise und unbewusst auf ihm herum. »Halten Sie die Klappe und kommen Sie mit. Oder wollen Sie, dass Ihr Vater Ihnen wieder abhaut?«
Der Detektiv stieg aus und schloss die Fahrertür. Vinzenz machte keine Anstalten ihm zu folgen. Also lehnte sich Marius gegen den Wagen, schloss die Augen und genoss die wärmenden Strahlen der Sonne. Er konnte warten. Vinzenz nicht.
Das Öffnen der Beifahrertür holte ihn in die Gegenwart zurück. Gemeinsam betraten sie die Kirche. Aus dem Augenwinkel sah Marius, wie die Hände seines Klienten die Tüte krampfhaft umfassten. Adern und Sehnen traten kräftig aus dem mageren Arm hervor. Drei alte Frauen waren das einzige Publikum für die Messe des alten Priesters. Vinzenz drückte sich neben Marius auf die hinterste Bank. Er schwitzte. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, Vinzenz Dietrich in eine Kirche geschleppt zu haben.
Nachdem die Messe mit einem Segen zu Ende gegangen war, verließen die drei alten Frauen die Kirche, nicht ohne neugierige Blicke auf die fremden jungen Männer zu werfen. Der Priester zog sich einen kurzen Moment in die Sakristei zurück. Schließlich kam er wieder heraus und durch den Mittelgang auf sie zu. Er setzte sich vor die beiden auf die Holzbank, die Füße im Gang, und wandte sich ihnen zu.
»Da sind Sie wieder«, sagte er.
»Da sind wir wieder«, antwortete der Detektiv.
»Dieses Mal haben Sie jemanden mitgebracht, wie ich sehe.« Der Priester wandte sich Vinzenz zu, der kein Wort sagte und ihn mit seinen großen grauen Augen anstarrte. Marius öffnete seine Mappe und holte die beiden Fotos hervor, den Chargesheimer und die Aufnahme aus dem Kunstverein.
»Er ist hier, nicht wahr?«
Der Priester nahm die Bilder in seine kräftigen Hände und betrachtete sie. Dann schaute er Vinzenz lange an. Schließlich gab er die Fotos dem Detektiv zurück.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Wir sprechen davon, dass dieser Mann seit dreißig Jahren seinen Vater sucht. Meinen Sie nicht, er hat ein Recht, ihn zu sehen?«
»Entschuldigen Sie mich kurz?«
Marius sah dem alten Mann nach, wie er langsam in Richtung Sakristei lief. Nichts mehr war von der Energie zu spüren, mit der er auf sie zu gekommen war. Sie mussten einige Zeit warten, bis der Pfarrer wieder aus der Sakristei heraustrat. Ihm folgte ein zweiter Mann in einem schwarzen Anzug, ein gutes Stück älter als er, den großen Körper leicht gebeugt, die grauen Haare in einer Tolle nach hinten gekämmt. Der Priester deutete auf Vinzenz und Marius in der letzten Bank. Mit wackligen Schritten ging der Mann auf sie zu. Er hatte den gleichen leicht trotzigen, fragenden Blick, den er auf den beiden Fotos zur Schau stellte. Marius Sandmanns Auftrag war erledigt. Als Siegfried Baumgart vor ihnen stand, sahen Vinzenz und er sich stumm an. Es dauerte, ehe jemand sprach.
Schließlich brach Baumgart das Schweigen. »Wer bist du?«
Marius stand leise auf und ging hinaus.
Die Sonne schien ihm ins Gesicht, wären seine Haare länger gewesen, hätte der Wind sie zerzausen können. Marius saß auf einer Parkbank und hielt die Augen wieder geschlossen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt derart wohl gefühlt hatte. Für einen kurzen Moment schlief er ein.
Es dauerte keine fünf Minuten, da folgten Vater und Sohn dem Detektiv ins Freie, die kurze Zeit des Friedens war vorbei.
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