Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
König 01 - Königsmörder

König 01 - Königsmörder

Titel: König 01 - Königsmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Miller
Vom Netzwerk:
der in einem arkanen Duell für sich selbst und all seine Nachfahren das Recht erstritten hatte, sich Wettermacher zu nennen, im Palast zu leben und die Toten der Familie in einem üppigen Marmorschrein zu begraben, den das neu überarbeitete Emblem des Hauses krönte: ein Blitz, den ein nacktes Schwert kreuzte.
    Der Raum, den er zum letzten Ruheplatz seiner Familie auserkoren hatte, war klein. Es schien… passend. Schließlich hatten sie einander im Leben sehr nahe gestanden. Warum sollten sie das nicht auch im Tod tun? Jetzt stolperte er umher wie eine Fliege in einem Honigtopf, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, als er sich die Hüfte an der Ecke eines offenen Sarges stieß. Gleichzeitig versuchte er, die drei Schablonen, die die Bestatter zurückgelassen hatten, nicht anzusehen. Eine männliche Gestalt, geziemend königlich. Eine weibliche, gekleidet wie eine Königin. Und natürlich der Körper eines schönen jungen Mädchens, der Fane darstellte. Er schauderte. Diese Marmorbildnisse waren noch erschreckender als die eigentlichen Leichen seiner Familie.
    Von jäher Müdigkeit befallen, ließ er sich auf die Bank, die in die entgegengesetzte Mauer des Gewölbes gehauen war, sinken und verbarg das Gesicht in den Händen.
    Er hatte Angst.
    Die Aufgabe, die auf ihn wartete, eine magische Nachschöpfung ihrer lebenden Gesichter in leblosem Stein, war das Letzte, was er jemals für sie hatte tun wollen. In vielen Jahren, wenn auch er tot war und in diesem kleinen, kalten Raum an ihrer Seite schlummerte, würden noch ungeborene Fremde betrachten, was er heute hier zustande brachte, und glauben, dass das, was sie sahen, der Wahrheit entsprach.
    Er hob den Kopf, um das Bildnis anzusehen, das seine Schwester darstellen würde. Ihr marmornes Gesicht war eine ausdruckslose, weiße Fläche, ein unbeschriebenes Blatt, ein angehaltener Atemzug. Die Züge, die er dem Bildnis hier und jetzt verlieh, würden für immer Fane
sein;
er konnte ihr eine Hakennase geben, wulstige Lippen, Knopfaugen oder eine verformte Stirn. Er konnte ihre Wangen aufblähen wie die eines gierigen Eichhörnchens. Er konnte sie äußerlich so hässlich machen, wie sie es innerlich gewesen war, und niemand konnte ihn daran hindern. Sie selbst konnte es gewiss nicht. Sie war tot.
    So lebendig wie im Licht eines Blitzes sah er sie vor sich: Ihr silbrig goldenes Haar, das im Sonnenschein schimmerte, die glänzenden, blauen Augen, in denen mal Schelmerei, mal Bosheit stand; der Klang ihres Gelächters erscholl in seinem Kopf deutlicher als jede Silberglocke.
    Er stand auf und ging zu dem gemeißelten Steinklotz hinüber, der zu seiner Schwester werden musste, dann schob er allen Schmerz, alle Krankheit und alle knochentiefe Müdigkeit beiseite und beschwor den Verwandlungszauber. Ungezähmt, ungefesselt schössen die Worte wie eine Sturmflut durch seinen Kopf, quollen wie das Wasser einer Schneeschmelze über seine Lippen und rissen alle Furcht beiseite. Macht ergoss sich aus dem geheimen Ort in seinem Innern, jagte durch sein Blut und quoll aus seinen Fingerspitzen in den kühlen, wartenden Marmor. Stein verwandelte sich unter seinen Händen in etwas Warmes, Weiches, und Magie formte den Stein zu Erinnerung.
    Als er endlich fertig war und Fane schlafend vor ihm lag, schön und unversehrt, drückte er seine kalten Lippen aus Fleisch auf ihre warme, steinerne Stirn. Legte eine Wange auf ihre und flüsterte in ihr makelloses Ohr. »Ich hätte dich hässlich machen können und habe es nicht getan. Vergiss das nicht, kleine Schwester. Vergiss nicht, dass ich dich immer noch liebe, und vergiss auch dies nicht: Du hast nicht gesiegt. Die Magie ist mir treu geblieben. Ich habe nicht nach dieser Macht gestrebt, und doch ist sie mir zugefallen. Ich habe mich nicht danach verzehrt, Wettermacher zu werden, aber genau das bin ich jetzt. All das ist Barls Werk, nicht meines. Es tut mir leid, dass du tot bist, aber ich werde unseren Vater nicht verraten, indem ich Barls Geschenke zurückweise, nur weil du dich nicht dazu überwinden konntest, sie zu teilen.«
    Der Schmerz hinter seinen Augen war jetzt grimmig und unversöhnlich und labte sich an den letzten Rinnsalen von Magie in seinem Blut. Er ignorierte ihn. Der Ruhm war sein und der Triumph und eine brennende Entschlossenheit, diese heilige Pflicht erfüllt zu sehen.
    Dann das Gesicht seiner Mutter. Als sie endlich vor ihm lag, die Wimpern sanft geschwungen, die Lippen zu einem verstohlenen Lächeln geformt,

Weitere Kostenlose Bücher