König Artus
verschränkte unter seinem Gewand fest die Finger. Er hörte den Zauberspruch – die Finsternis umschloß ihn wie eine Faust, die Luft wurde kalt, und er lag nackt auf den Steinen.
Für das Zaubergebilde dieser Burg war das Verlies, in dem Sir Lancelot lag, bemerkenswert fest und auf Dauer gebaut, mit all den Unbehaglichkeiten und der unguten Feuchtigkeit eines alten Gemäuers. Der Ritter blieb nicht lange auf dem Steinboden ausgestreckt liegen, denn sein Rittertum war gleichfalls fest und auf Dauer gebaut und hatte die edelsten und tapfersten Grundstoffe des menschlichen Geistes zum Fundament. Er stand auf, tastete sich durch die modrige, stockdunkle Zelle zur Wand und daran entlang zu der eisenbeschlagenen Tür aus Eichenholz. Sie war natürlich verschlossen, aber durch das vergitterte Fensterchen roch er den kühlen Wind, der draußen durch den Korridor wehte.
Vielleicht stand ihm der Tod bevor, doch der ritterliche Ehrenkodex verlangte, daß er, wenn er sterben mußte, dem Tod entgegenging, als wäre er ein Teil des Lebens. Und sollte sich im Unvermeidlichen doch irgendein Ausweg zeigen, mußte er sogleich und mit aller Kraft die Gelegenheit nutzen, denn mochte das Gesetz des Rittertums auch Mängel aufweisen, eine gefügige Hinnahme von Unrecht und Gewalt gehörte nicht dazu. Ein Mann durfte den Tod wohlgemut und in heiterer Fassung hinnehmen, wenn er jeden ehrenvollen Weg ausgeschritten hatte, um ihm zu entgehen, aber keiner, der seine Sporen wert war, kroch demütig seinem Schicksal entgegen oder beugte willig den Hals unter das Schwert. Sir Lancelot wußte, daß es keinen Sinn hatte, die Zelle nach etwas abzutasten, was ihm als Waffe dienen könnte. Es gab keinen losen Stein, keinen lockeren Balken, keinen Nagel, der dafür zu gebrauchen wäre. Seine einzigen Werkzeuge waren seine Zähne und Fingernägel, als Keulen hatte er nur die Fäuste, als Stricke einzig die Muskeln seiner Arme und Beine. Es konnte sein, daß man ihn hier wie Merlin einsam und hilflos liegenließ, bis er an der Finsternis, der Kälte und dem Hunger zugrunde ging. Doch wenn er recht hatte, wenn die Frauen, die ihn gefangenhielten, gewalttätige und rachelüsterne Kinder waren, würden sie es sich nicht versagen können, den Leiden ihres Opfers zuzusehen und sich an seinem Kampf ums Überleben zu weiden. Er dachte wieder an Merlin, und dabei fiel ihm ein, wie dieser ihm als kleinem Jungen, der die Knie seiner Mutter umklammerte, die Zukunft vorausgesagt hatte. Was er von dieser Prophezeiung möglicherweise vergessen hätte, hatte Königin Elaine für ihn lebendig erhalten. Er werde der erste Ritter der Welt werden, hatte Merlin gesagt. Nun, heute war die Welt dieser Meinung. Dieser Teil der Prophezeiung war eingetroffen – um so mehr Anlaß hatte Lancelot, auch dem zweiten zu vertrauen: Nach einem langen und tatenreichen Leben werde er an Liebe oder Liebesgram sterben – jedenfalls an Liebe. Und hier, an diesem grausigen Ort, war sowenig Liebe wie Licht zu finden, und abgesehen von seiner ritterlichen Minne für Guinevere empfand Lancelot keine Liebe, die ihm das Herz brechen könnte. Also war seine Todesstunde noch nicht gekommen. Als Mitglied des Ritterstandes hatte er die Pflicht, auf sich zu nehmen, was Gott schicken mochte, aber andererseits erwartete selbst Gott von ihm, daß er die Gaben nutzte, die ihm verliehen worden waren.
Sein Sinnen nahm der Dunkelheit etwas von der Schwärze und milderte die Kälte. War dies nicht seine Todesstunde, mußte er jede Gelegenheit nutzen, die sich bieten mochte, ja, sich jetzt schon darauf einstellen. Wenn die finsteren, bösen Königinnen kamen, um sich an seinen Schmerzen zu weiden, würden sie mit Zauberkünsten als Waffen und Rüstung erscheinen. Und wie jedermann, wußte auch Lancelot, daß die Taktik der Nekromantie bestimmte, unveränderliche Handlungen verlangte. Die Hände mußten vorgeschriebene Bewegungen vollführen, die Stimme mußte rituelle Silben sprechen. Wurde einem Zauberer beides verwehrt, war er hilflos wie ein Schaf. Wenn Lancelots Feindinnen glaubten, seinen Tod bewerkstelligen zu können, stellten sie sich gegen Merlin, aber Merlin war mächtiger als sie, und das hieß, daß sie trotz all ihrer Macht die Zukunft nicht voraussehen und auch Lancelots Gedanken nicht lesen konnten. Wenn er sich also hinter die Tür stellte und dort lautlos wartete, würden sie nicht ahnen, daß er dort war. Und wenn er der ersten der vier die Arme festhielt, damit sie die Bewegungen
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