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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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meilenweit. Der verschwundene Nebel hatte nicht nur die Sicht freigegeben, sondern auch einen anderen, subtileren Schleier mitgenommen, der die ganze Zeit bei uns gewesen war, seit wir den Sumpf zum ersten Mal gerochen hatten. Die Nekromantie prickelte in mir. Wir standen auf der Oberfläche eines Ozeans,
und unter uns schwammen die Toten. Etwas hatte meine Macht überlagert, mich geblendet. Etwas oder jemand.
    »Zeig dich, Chella!«, rief ich.
    Das Gewicht ihrer Nekromantie drehte mich, und ich starrte dorthin, wo sie aus dem Schlamm kam. Sie zeigte sich nach und nach. Schwarzer Schleim glitt von ihrem nackten Leib; nasses Haar schmiegte sich an die Schultern und reichte über die Brüste. Zwischen uns erstreckten sich zehn Meter dunkler, tückischer Morast. Row hatte seinen Bogen auf dem Rücken, und die Armbrust des Nubiers war an Braths Sattel gebunden. Grumlow hielt wenigstens einen Dolch in der Hand. Besser gesagt: Beide Hände hielten Dolche. Aber er schien nicht zu versessen darauf zu sein, sie zu werfen. Vielleicht wollte er vermeiden, Chellas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Niemand von uns sprach. Nicht einer von uns griff nach einem Bogen. Die Magie der Nekromantin funktionierte nicht nur bei den Toten, sondern auch bei den Lebenden. Zumindest bei Männern. Der Sumpf hatte den Körper besudelt, an den ich mich so gut erinnerte, er war dunkel, aber noch immer fest. Der Schleim, der ihr über die Haut kroch, hier tropfte und sich dort an eine Wölbung schmiegte … Er schien den Blick einzufangen und zu lenken, jede dunkle Kurve und Kante zu vergolden.
    »Hallo, Jorg«, sagte sie.
    Sie benutzte Katherines Worte vom Friedhof. Was an solchen Orten gesprochen wird, dringt vielleicht immer an die Ohren jener, die den Tod geheiratet haben.
    »Du erinnerst dich an mich.« Ich überlegte, wie lange sie mich hierher geführt hatte. Vermutlich waren es ihre Geschöpfe gewesen, die die Brücke zerstört hatten.
    »Ich erinnere mich an dich«, sagte sie. »Und der Sumpf erinnert
sich ebenfalls. Sümpfe haben ein gutes Gedächtnis, Jorg, sie saugen Geheimnisse in ihre Tiefen und halten sie fest, aber letzten Endes, zum Schluss, dringt alles an die Oberfläche.«
    Ich dachte ans Kästchen an meiner Hüfte und die Erinnerungen darin. »Du willst mir vermutlich sagen, dass ich mich dem Fürsten von Pfeil nicht entgegenstellen sollte, oder?«
    »Warum? Glaubst du, ich hätte ihn unter meiner Kontrolle?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hätte dich an ihm gerochen.«
    »Du hast mich hier nicht gerochen, und dieser Ort stinkt nach Tod«, sagte Chella. Sie war ständig in Bewegung, drehte sich langsam, streckte sich, beschäftigte das Auge.
    »Um ganz ehrlich zu sein: Er riecht auch noch nach vielen anderen Dingen.«
    »Der Fürst von Pfeil hat genug Verteidiger, genug Meisterkämpfer. Er braucht mich nicht. Jedenfalls, du solltest nicht alles glauben, was du liest, und je älter ein Buch, desto unglaubwürdiger sind seine Geschichten.«
    Es gab auch geschriebene Prophezeiungen? Das entlockte mir ein Knurren. Schlimm genug, dass jede gelegte Tarockkarte und jeder Wurf von Runenstöcken Pfeil auf den Thron setzte. Jetzt wandten sich auch noch Bücher gegen mich, meine ältesten Freunde. »Warum also sind wir hier?«, fragte ich. Ich wusste es, fragte aber trotzdem.
    »Ich bin für dich hier, Jorg«, sagte sie mit rauchiger, verführerischer Stimme.
    »Komm und nimm mich, Chella.« Ich hob das Schwert nicht, drehte es aber so, dass es Licht auf ihr Gesicht reflektierte. Ich fragte nicht, was sie von mir wollte, Rache erfordert keine Erklärung. »Und wie bist du hierhergekommen« In Gelleth war ein Berg auf sie gefallen und hatte sie tiefer als tief begraben.
    Sie runzelte die Stirn. »Der Tote König kam zu mir.« Und ich könnte schwören, dass ich sie für einen Moment, nur für einen Moment, schaudern sah.
    »Der Tote König?« Das war neu. Ich hatte zu verstehen geglaubt: dass es sie nach Vergeltung dürstete – schlichte, einfache Gefühle, die ich verstehen konnte. Immerhin hatte ich sie unter dem Honasberg begraben. »Hat er dich geschickt?«
    »Ich wäre in jedem Fall zu dir gekommen, Jorg. Zwischen uns ist einiges unerledigt geblieben.« Wieder das Verführerische, das die Brüder, die sich gerade zu bewegen begonnen hatten, erstarren ließ.
    »Wer will mich mehr, Chella? Du oder dein König?«
    Etwas Fratzenhaftes huschte durch Chellas Gesicht, und sie verlor an Einfluss auf die Brüder, als deren Ärger

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