König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
Stalaktiten hatte Lundist sie genannt, obwohl er nur Bilder in Büchern gehabt hatte, und die sahen ehrlich gesagt ziemlich langweilig aus. Ich bin mir nicht sicher, wo der Unterschied liegt, vielleicht heißen die großen Stalagmiten. Lundist meinte, sie wachsen, aber das habe ich nie beobachten können. Eins weiß ich: Im Licht von Flammen und unter dem immensen Gewicht eines Berges sind sie von einer Schönheit, die sich kaum beschreiben lässt.
Für lange Momente hielten mich die Wunder des lebenden Gesteins in ihrem Bann, und als sie mich entließen, war ich allein auf einer Insel des Lichts im Dunkeln. Rasche Blicke über den Weg bestätigten es. Keine Männer der Wache, keine Brüder, nicht einmal Schritte in der Ferne.
Hier stimmt was nicht.
»Jorg.« Sageous trat hinter einer steinernen Säule hervor, und das Licht in ihm schrieb seine Tätowierungen an die Wände. Dort bewegten sich die Zeichen, glitten umher, krochen über alle Wölbungen der Höhle.
»Heide.« Ich sah ihm in die Augen. »Hast du vielleicht noch mehr Kirchenleute, die getötet werden müssen?«
Er lächelte. »Du bist so schwer zu erreichen gewesen, Jorg. Eine dichte Dornenhecke umgibt alle deine Träume.« Er runzelte die Stirn. »Oder ist es ein Kästchen? Ein Kästchen aus Kupfer, Jorg? Eine andere Hand ist hier im Spiel. Jemand hält dich von mir fern.«
Ich hielt die Hände still und sah ihm weiterhin in die Augen, aber ich spürte das Gewicht an meiner Hüfte, und sein Blick glitt dorthin.
»Interessant«, sagte er. »Aber macht weiter nichts. Jetzt, da wir uns nahe sind, kann ich dich wieder berühren.«
»Bist du gekommen, um mit mir zu spielen, Heide? Um mich auf den von dir gewählten Weg zu setzen?« Ich zog mein Schwert, was ihn allerdings nicht zu beeindrucken schien. »Oh, lass mich raten … Du bist gar nicht da?«
Wieder das Lächeln. Sageous neigte den Kopf, nur ein bisschen, einen Zentimeter, mehr nicht. »Ich bin außerhalb deiner Reichweite, Jorg, und du folgst noch immer dem Weg, auf den ich dich vor langer Zeit gesetzt habe. Einzig die Art deines Todes kannst du wählen. Ich habe dir Katherine genommen. Sie hätte dich stark gemacht. Yin und Yang, wenn du so willst. Und jetzt bist du schwach, und ihre Hilfe legt mir einen Pfeil in die Hand, den ich auf ein beliebiges Ziel richten kann.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf, trat einen Schritt auf ihn zu und achtete darauf, wohin ich den Fuß setzte.
In den Höhlen kann ein falscher Schritt dazu führen, dass man sich am Ende eines langen Falls alle Knochen bricht. Doch welche Schritte ich auch machte, der Heide hatte bereits Zweifel an ihnen in mir gesät. Er trug den Zweifel mit sich, Zweifel an einem selbst, an den Motiven, jene Art von Ungewissheit, die einen Mann wie Krebs zerfrisst.
»Nein«, wiederholte ich und suchte nach Zuversicht. »Hämische Freude und sich zu brüsten, das ist etwas für Narren. Wenn ich wirklich deinem Weg folgen würde, wärst du nicht hier, um es mir unter die Nase zu reiben.« Ich richtete die Spitze meines Schwerts auf Sageous. »Vielleicht hat das sanfte Steuern nicht so gut funktioniert, wie du gehofft hast. Vielleicht bist du gekommen, um mit etwas mehr Nachdruck zu steuern und mich von meinem Weg abzubringen. Wie gesagt, sich zu brüsten, bleibt Narren vorbehalten, und ich habe dich nie für einen Narren gehalten.«
Das Licht flackerte über seine Haut. »Du kannst nicht gewinnen,
Junge. Du kannst nicht gewinnen. Warum also bist du noch hier? Was planst du? Wo versteckst du deine Geheimnisse?« Sein Blick kehrte zum Kästchen zurück, obwohl es nur eine kleine Beule an meiner Hüfte bildete.
Ein schneller Schritt, und ich stieß die Klinge nach vorn. Sageous zischte, als sie ihn traf, aber das Schwert stieß auf nicht mehr Widerstand als den seines Umhangs.
»Ich bin nicht hier!« Er knirschte mit den Zähnen, als wollte er seinen Worten Nachdruck und damit Wahrheit verleihen. Und dann war er weg.
»Jorg?« Makin stand neben mir, mit krauser Stirn und einer Hand auf meinem Arm. »Jorg?«
»Hab mit offenen Augen geträumt.« Ich schüttelte den Kopf. »Geh vor!«
Die Tunnel der Ausfalltore führen in verschiedene Keller der Spukburg, und ihre Ausgänge sind als große Weinfässer getarnt. Ich bahnte mir einen Weg nach vorn und fand Hobbs.
»Unternehmt etwas gegen den Rammbock«, sagte ich. »Er scheint gut geschützt zu sein, aber müde Männer können ihn nicht mit genug Kraft gegen das Tor stoßen.
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