Koenig der Murgos
Ce'Nedra auf den Kissenhaufen unter dem Fenster. Garion war nicht entgangen, daß die beiden in den Wochen, seit sie Tol Honeth verlassen hatten, gute Freundinnen geworden waren. Weil Polgara dieses Bedürfnis offenbar nie gehabt hatte, war ihm nicht bewußt geworden, wie sehr die meisten Frauen die Gesellschaft von Geschlechtsgenossinnen brauchten. Während Sadi seine kleine grüne Schlange fütterte, bürsteten die beiden den Reisestaub aus ihren Haaren.
»Warum ziehst du ihn immer so auf, Liselle?« fragte Ce'Nedra, und zog die Haarbürste durch die flammend roten Lok-ken.
»Ich revanchiere mich bloß«, antwortete Sammet mit spitzbübischem Lächeln. »Als ich ein kleines Mädchen war, hat er mich ständig geneckt.«
»Du weißt offenbar stets genau, wie du ihn am tiefsten treffen kannst.«
»Das kommt daher, daß ich ihn so gut kenne, Ce'Nedra. Ich studiere ihn seit Jahren. Ich kenne jede seiner Schwächen und weiß genau, wo er am empfindlichsten ist.« Die Augen des blonden Mädchens wurden weich. »Weißt du, in Drasnien ist er eine Legende. In der Akademie befassen sich ganze Kurse mit seinen Unternehmungen. Wir bemühen uns alle, ihm nachzueifern, doch keiner von uns hat sein geradezu unverschämtes Gespür.«
Ce'Nedra hielt mit Bürsten inne und blickte ihre Freundin lange und nachdenklich an.
»Ja?« fragte Sammet, der dieser Blick nicht entging.
»Oh, nichts«, antwortete Ce'Nedra und beschäftigte sich wieder mit ihrem Haar.
Die Wüstennacht war überraschend kalt. Da die Luft nicht die geringste Feuchtigkeit aufwies, verdunstete die Tageshitze, kaum daß die Sonne unterging. Während sie in dem fast stählern grauen Morgenlicht aufbrachen, stellte Garion fest, daß er fröstelte. Doch schon am frühen Vormittag machte die glü-
hende Sonne die kahle Wüste von Araga wieder zur Hölle.
Gegen Mittag erreichten sie das Vorgebirge am Westrand der Wüste und begannen aus dem Backofen herauszusteigen.
»Wie lange etwa werden wir bis Rak Urga brauchen, guter Herr?« fragte Sadi Tajak, der sie wieder geleitete.
»Etwa eine Woche.«
»Die Entfernungen in diesem Teil von Cthol Murgos sind sehr groß, nicht wahr?«
»Es ist ein sehr großes Land.«
»Und sehr leer.«
»Nur, wenn man sich nicht richtig umschaut.«
Sadi blickte ihn fragend an.
»Auf dem Kamm dort, beispielsweise.« Tajak deutete zu einem zerklüfteten Felsen, der sich vom Westhimmel abhob. Ein schwarzgewandeter Murgo saß da und beobachtete sie.
»Wie lange ist er schon dort?« fragte Sadi.
»Seit etwa einer Stunde. Seht Ihr denn niemals hoch.«
»In Nyissa richten wir den Blick auf den Boden. Der Schlangen wegen, wißt Ihr?«
»Das erklärt es wohl.«
»Was macht er da oben?«
»Uns beobachten. König Urgit behält Fremde gern im Au-ge.«
»Wird er uns Schwierigkeiten machen?«
»Wir sind Dagashi, Nyissaner. Andere Murgos machen uns keine Schwierigkeiten.«
»Es ist uns eine große Beruhigung, so respekteinflößende Begleiter zu haben, guter Tajak.«
Die Gegend, durch die sie während der nächsten Woche ritten, war felsig und nahezu ohne Pflanzenbewuchs. Garion hatte Schwierigkeiten, sich an die Tatsache zu gewöhnen, daß es in den südlichen Breiten Spätsommer war. Der Jahreszeiten-wechsel war für ihn bisher immer unveränderlich gewesen, deshalb fiel es ihm innerlich schwer, sich damit abzufinden, daß es hier am Rand der Welt umgekehrt war.
An einem gewissen Punkt ihrer Reise schlug das gut verhüllte Auge an seinem Schwert, das er nun über den Rücken geschlungen trug, scharf nach links aus. Garion lenkte sein Pferd neben Belgaraths. »Zandramas ist hier nach Osten abge-bogen«, sagte er leise.
Der alte Mann nickte.
»Ich verlasse ihre Fährte nur sehr ungern. Wenn Sadi sich hinsichtlich ihres Ziels täuscht, könnten wir Monate brauchen, bis wir sie wiederfinden.«
»Wir haben eine Menge Zeit mit dem Bärenkult vergeudet, Garion. Das müssen wir aufholen, selbst wenn uns deshalb nichts anderes übrigbleibt, als einige Risiken einzugehen.«
»Du hast wohl recht, Großvater, aber es gefällt mir trotzdem nicht.«
»Mir auch nicht, doch ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.«
Heftige Böen bliesen vom Großen Westmeer herbei, als sie dem Felsgrat der Halbinsel Urga folgten – ein Zeichen, daß der Herbst sich mit Riesenschritten näherte. Nur vereinzelt brachten sie ein bißchen Regen, der sie nicht aufhielt. Immer öfter bemerkten sie nun berittene Murgopatrouillen entlang der Felskämme. Aber die
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