König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
unablässig tropfte Wasser von der Tunneldecke und nicht ein einziges Geräusch war zu hören, denn Raphael selbst bewegte sich lautlos und atmete nicht einmal. Dieser Ort wirkte tot und verlassen, doch er spürte, dass er nicht allein war. Sein goldenes Licht tauchte die dunklen Gänge in ein lebendiges und wunderschönes Licht, das nur allzu schnell wieder erlosch, nachdem er vorübergegangen war.
Endlich verlangsamte er seine Schritte. Sein Ziel lag nun ganz nah vor ihm. Nur wenige Schritte weiter endete der Tunnel blind und dort lag der Körper eines Wesens, das nur wenig mit Raphael gemein zu haben schien. Er trat näher heran und sank auf die Knie, dann nahm er den Körper in die Arme und wiegte ihn sacht hin und her.
„Erwache, mein Freund“, flüsterte er, während sein Licht lebendig über die Wände des Tunnels flimmerte.
Siriel gab ein schwaches Stöhnen von sich. Obwohl er in der Gestalt eines Engels in Raphaels Armen lag, schien jedes Leuchten aus seinem Körper gewichen zu sein. Er wirkte schwach und zerbrechlich, mehr tot als lebendig. Seine Haut war grau und wächsern, kaum mit der strahlenden Kraft vergleichbar, die von Raphael ausging.
„Du bist schon viel zu lang hier unten“, flüsterte Raphael. „Wenn du nicht endlich wieder Licht zu sehen bekommst, wirst du dein göttliches Feuer verlieren und sterben!“
Ein hustendes Gurgeln entwich Siriels Lippen. Es dauerte einen Moment, bis Raphael begriff, dass Siriel lachte.
„Das ist es, was ich will!“, flüsterte dieser. „Wenn ich nicht in der Nähe des Herrn sein kann, welchen Wert hat dann dieses Leben noch? Dann lieber sterben und ins Nichts vergehen…“
„Wie lange bist du schon hier unten?“, fragte Raphael.
„Wie lange?“, stammelte Siriel. „Ich weiß es nicht. Vierhundert Jahre? Fünfhundert? Was zählt das schon… sterben… ich wünschte, ich würde endlich sterben…“
Ein Schauer lief Raphael über den Rücken. In Siriels letzten Worten hatte eine solche Sehnsucht gelegen, dass ihm plötzlich eiskalt wurde.
„Aber Siriel! Da draußen sind große Dinge im Gang“, erwiderte er erregt. „Es geschehen Sachen, die wichtig für uns alle sind…“
„Was kann das sein?“ Siriels Stimme war nun kaum noch zu hören. Fast schien es, als schliefe er gleich ein, so schwach wie er war.
„Ein Drittel von uns ist in den Himmel zurückgekehrt. Gabriel selbst ist gekommen um sie zu erlösen. Selbst Samael war dabei!“
„Samael? Wie kann das sein?“, hallte Siriels schwache Stimme leise durch den Gang. „Der Böseste und Hinterhältigste von uns allen. Wie konnte ihm vergeben werden? Er wäre doch der Letzte gewesen, der wieder an Gottes Seite hätte gelangen können.“
„Ein Mensch hat es bewirkt. Eine junge Frau namens Eleanor.“
Ein Ruck lief durch Siriels Körper. Jetzt erst öffnete er matt die Augen und sah Raphael zum ersten Mal an.
„Ein Mensch, sagst du? Wie kann das sein?“
„Sie hat uns das zurückgegeben, was uns Engeln verloren gegangen war und was uns von Gott getrennt hat!“
„Was mag das sein?“, fragte Siriel schwach. Er war schon wieder im Begriff, seine Augen zu schließen.
„Die Liebe Gottes zu allem was lebt!“
Wieder lief das unheimliche hustende Lachen durch Siriels Körper.
„Wenn du damit die Liebe Gottes zu den Menschen meinst, so bin ich wahrhaftig verloren“, krächzte er. „Ich trage den Zorn auf sie schon so lange in mir, dass er ein Teil meiner Seele geworden zu sein scheint. Ich wünschte, er hätte sie nie erschaffen, denn sie sind an meinem Schicksal schuld!“
„Nein, das sind sie nicht! Gott hat uns nie den Auftrag erteilt, die Menschen in Versuchung zu führen. Er hat lediglich vorausgesagt, was wir tun werden, wenn er uns mit ihnen zusammen auf die Welt entlässt. Gott wollte uns nichts Böses – er hat uns auf die Welt geschickt, damit wir uns weiterentwickeln können und von allein darauf kommen, dass unser Zorn auf die Menschen ein Irrweg ist!“
Siriel war plötzlich ganz still geworden. Einen Augenblick lang fragte Raphael sich, ob er noch am Leben war, oder ob er nur noch eine leere Hülle in den Armen hielt.
„Bist du dir sicher?“, erklang schließlich Siriels gebrochene Stimme.
Raphael nickte. „Es ist wie ich sage, mein Freund. Wenn du aus dem, was ich sage lernst, kannst du diesen Ort verlassen und wieder zurück an die Seite des Herrn gelangen.“
Es wurde still im Tunnel. Keiner der beiden sagte ein Wort, allein das Tropfen des Wassers
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