König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
sich an ihr fest und nahm ihr dadurch jede Möglichkeit, aktiv gegen ihn vorzugehen. Immer noch rasten sie auf die Erde zu, doch jetzt hatte Raphael die Möglichkeit, ihren freien Fall abzubremsen und einen Aufschlag zu verhindern, der über ganz Europa zu hören gewesen wäre. Wenige Meter über einer schroffen Felslandschaft blieben die beiden in der Luft stehen, von wo aus sie die umliegenden Berghänge in ein unheilvolles, rotes Licht tauchten.
Mit einer schnellen Bewegung entließ Raphael Lilith aus seinem Griff und stieß sie von sich. Sie fuhr fauchend herum und starrte ihn feindselig an.
„Glaube nicht, ich würde das je vergessen“, zischte sie tränenüberströmt und bis ins Mark gekränkt. „Von heute an wirst du keine ruhige Minute mehr mit deiner Eleanor verbringen können, denn ich werde immer da sein. Und eines Tages werde ich sie erwischen und zur Strecke bringen…“
Raphael brüllte zornig auf, doch bevor er noch etwas erwidern konnte, fuhr Lilith fort.
„Jetzt kannst du beweisen, wie sehr du sie liebst!“, schrie sie ihn verletzt an. „Sicher vor mir wird sie erst wieder sein, wenn du sie verlässt und zu mir kommst!“
Mit diesen Worten schlug sie ein paar Mal kräftig mit den Flügeln, um sich in eine größere Höhe zu bringen.
„Du bekommst sieben Tage, um dich zu entscheiden. Wenn du bis dahin nicht wieder bei mir bist, wird ihr Leben nicht länger sicher sein.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und flog in die Dunkelheit davon. Noch einen kurzen Moment hörte Raphael das Rauschen ihrer Schwingen, dann war er allein in der finsteren Nacht. In ohnmächtiger Wut ballte er seine Fäuste, doch er folgte Lilith nicht.
‚Warum habe ich sie nicht getötet ?‘, fragte er sich selbst. ‚Eleanor hat mich darum gebeten es nicht zu tun, doch das ist nicht der Grund!‘
Langsam wich die Spannung aus Raphaels Körper, während er sich noch immer durch sanfte Flügelschläge in der Luft hielt. Nun jedoch ließ er sich zu Boden gleiten und setzte sich auf einen Felsen, unter dem ein Abgrund jäh über mehrere hundert Meter abfiel. Es war nicht leicht für ihn, doch er musste sich eingestehen, dass er den Grund für seine Zurückhaltung nur allzu gut kannte. Ganz sicher hatte er Lilith nicht verschont, weil er Angst um sein eigenes Leben gehabt hatte. Und ganz sicher auch nicht, weil Eleanor ihn darum gebeten hatte. Für Eleanors Leben hätte er seine Seele riskiert und doch hatte er Lilith heute Nacht nicht vernichtet. Nein, die bittere Wahrheit war, dass die Umarmung über den Dächern von Dragowicze ihm gezeigt hatte, dass Lilith ihm etwas geben konnte, was Eleanor nicht vermochte. Noch nie zuvor hatte Raphael sich seit seinem Fall aus den Himmeln so gut und erfüllt gefühlt, wie in dem einen Augenblick, als er und Lilith eng umschlungen ihr göttliches Feuer ineinander übergehen ließen. Er hatte keine Ahnung, wie sich für die Menschen Sex anfühlen mochte, doch das, was er heute Nacht gespürt hatte, konnte nicht viel anders gewesen sein. Und dennoch war es so viel mehr gewesen…
Michael
Um eben jene Stunde, in der Raphael von Lilith getrieben über den nächtlichen Himmel stürzte, lag Eleanor hellwach in ihrem Bett. Sie hatte in letzter Zeit oft Probleme einzuschlafen. Die Sorgen, die sie sich Liliths wegen um Raphael machte, nagten des Nachts an ihr und ließen sie nicht zur Ruhe finden.
So wälzte sie sich unruhig hin und her, bis sie schließlich beschloss, ihre Freundin Elizabeth aufzusuchen. Sie schlug die Bettdecke zurück und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Sollte sie in den Gängen Stratton Halls entdeckt werden, würde sie einfach vorgeben, Schlafwandlerin zu sein. Behutsam öffnete sie die Tür und blickte in den finsteren Korridor hinaus. Ein verirrter Mondstrahl tauchte einige Flecken der gegenüberliegenden Wand in ein bleiches, kaltes Blau und spendete genug Licht, um den Weg nicht zu verfehlen.
Leise schloss Eleanor die Tür und huschte hinaus in die Dunkelheit. Die hohen, dunklen Gänge des alten Gebäudes wirkten zu dieser Nachtzeit unheimlich und düster, bar jeden Lebens und wie das Reich der Toten. Zumindest für Elizabeth war es das ja auch. Daher war Eleanor froh, den einzigen Geist Stratton Halls zu ihren Freunden zählen zu können.
Doch als sie schließlich den oberen Absatz des Treppenhauses erreicht hatte, auf dessen Grund der Geist Elizabeths saß, durchlief Eleanor dennoch ein kalter Schauer. Wieder spürte sie die Einsamkeit und
Weitere Kostenlose Bücher