König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Trauer, die von Elizabeths Seele ausging und an die sie sich nie würde gewöhnen können. Heute Nacht jedoch schienen diese schrecklichen Gefühle um ein Vielfaches stärker und verzweifelter zu sein. Sie waren wie eine Wand, gegen die Eleanor nicht die Stärke hatte, anzulaufen. Ein ums andere Mal glaubte sie, von ihnen zu Boden gedrückt zu werden und es erforderte ihre ganze Kraft, sich gegen sie zu wehren und die Stufen zu ihrer Freundin hinabzusteigen.
Als sie endlich am Grund des Treppenhauses angekommen war, saß dort der helle, formlose Schatten Elizabeths und wiegte sich wie immer sanft hin und her.
„Elizabeth, was hast du?“, zwang Eleanor sich zu sagen. „Warum bist du heute so finsterer Stimmung?“
Eine ganze Weile gab Elizabeth keinen Laut von sich. Dann endlich erhob sich ihr Schatten wie es schien und blickte auf Eleanor hinab, die sich neben sie gesetzt hatte.
„Das Ende ist nah“, sagte sie mit unendlich trauriger Stimme. „Ich habe mir so oft gewünscht, dass mein Aufenthalt auf dieser Welt endlich ein Ende haben könnte. Doch jetzt, wo es so weit ist, bin ich unglücklicher, als ich es je gewesen bin.“
„Warum?“, flüsterte Eleanor.
„Weil ich Angst habe vor dem, was kommen wird. Wenn der Tag des Jüngsten Gerichts anbricht, werde ich Gott gegenübertreten müssen und ich kann mir nicht vorstellen, dass er mir gnädig sein wird…“
„Aber Elizabeth. Ich kenne keinen Menschen, der seine Erlösung mehr verdient hätte als du. Wie kannst du nur glauben, dass Gott so unbarmherzig ist?“
„Seit ich hier unten lebe, besteht meine Existenz aus Einsamkeit und Finsternis. Und Gott lässt es zu…“
Eleanor verfiel in Schweigen. Elizabeth hatte zweifellos recht.
„Warum denkst du, dass es nicht mehr lang bis zum Ende der Welt dauert?“, fragte sie schließlich. „Wegen der Stimme?“
„Ja, ich habe sie heute Nacht wieder gehört. Es kann noch nicht lang her sein. Sie sagte, dass sie uns alle zurück in die Welt der Lebenden holen würde und wenn das geschähe, käme Gott selbst, um die Tore des Himmels zu öffnen.“
Eleanor erstarrte. „Wann soll es so weit sein?“, hauchte sie.
„Bald. Sehr bald.“
Die Sonne war hinter den morgendlichen Wolken hervorgekommen und tauchte die Landschaft in ein sattes Grün. Es würde heute ausnahmsweise einmal nicht lang dauern, bis die restlichen Wolkenfetzen endgültig in der Wärme des Tages dahinschwinden und einem schönen Tag Platz machen würden.
Michael trat vor die Tür und atmete tief ein. Er war sich keineswegs sicher, ob sein Vorhaben für den heutigen Tag eine gute Idee war. Und dennoch trieb es ihn hinaus, denn er wusste, dass er es sich nie verzeihen würde, wenn er kampflos aufgab. Er hatte vor, Eleanor heute zu besuchen. Nachdem die beiden das letzte Mal nicht ganz in Frieden auseinander gegangen waren, glaubte Michael hier etwas wiedergutmachen zu müssen. Es würde in keinem Fall schaden, Eleanor wissen zu lassen, dass diese Sache nicht zwischen ihnen stehen sollte. Nicht einmal dann, wenn er nicht gegen Raphael bestehen könnte. So machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Stratton Hall, folgte der Dorfstraße bis zum östlichen Ortsausgang und ließ damit die Häuser von Stratton hinter sich.
Die Landstraße stieg hier über eine Distanz von vielleicht hundert Metern sanft an, doch er genoss es heute, die Luft durch seine Lungen zu pumpen und mit weiten Schritten dem Sanatorium entgegenzugehen. Um ihn herum zwitscherten die Vögel, einige Meter schräg vor sich, wo der Wald begann, hämmerte ein Specht. Hinter sich hörte er ein sich näherndes Auto, so dass er noch ein Stück weiter zum Straßenrand rückte. Der Wagen überholte ihn und verschwand im waldigen Teil der Landstraße.
„Eigentlich ist es verrückt“, dachte er. „ Sie hat mir deutlich gesagt, dass sie diesen Raphael will. Warum versuche ich es eigentlich?“
Doch ein anderer Teil hoffte noch immer, dass sich das Blatt wenden könnte und Eleanor in ihm das erkannte, was Raphael nie für sie sein würde. Sie war doch nur deshalb in dieser Nervenheilanstalt gelandet, weil ihre Umwelt ihr das Verlangen nach Normalität nicht gestattete. Aber er könnte ihrem Leben Normalität geben. Er könnte ihr genau das geben, was sie wollte. Raphael hingegen war doch selbst ein Fall für die Klapsmühle. Er stand für all das, was Eleanor Probleme bereitete – wie sollte er Ruhe und Glück in ihr Leben bringen können? Es in ruhigere Fahrwasser
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