König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
sicher irgendwann ändern. Dich aus dem Sanatorium verschwinden zu lassen, war trotzdem hart genug für mich. Ich musste ihre Wahrnehmung so verwirren, dass sie Dienstpläne ignorierten, die Vergabe von Medikamenten änderten, dass sie Termine nicht beachteten und nicht einmal dein Zimmer betraten. Ich glaube, dass Schwester Emily seitdem einen Knacks weg hat.“
Die beiden sahen zu der rundlichen Schwester hinüber, die in etwa fünfzig Meter Entfernung Blumen in einem Beet goss, obwohl der tägliche Regen diese Arbeit längst erledigt hatte.
Eleanor prustete. „Diesen Tick hatte sie aber schon vorher“, lachte sie, während Raphael grinste.
Arm in Arm schlenderten die zwei durch den Park, am Haupthaus vorbei, wo sie Schwester Emily zuwinkten und hinter dem geschlossenen Garten vorbei in einen seltener begangenen Teil des Parks. Hier waren die Wege weniger gepflegt, die Bäume standen enger und wilder, Büsche und Gras wucherten höher. Dieser Teil des Geländes war eher ein Wald, mit einigen wenigen Wegen darin, wild, romantisch, manchmal auch ein wenig unheimlich. Ein großer, schmiedeeiserner Zaun trennte diese Welt vom richtigen Wald ab, der den Abhang hinunter nach Stratton führte. Hätte es den Zaun nicht gegeben, hätte ein Besucher dieses Ortes nicht zu sagen gewusst, ob er sich noch auf dem Gelände des Sanatoriums oder bereits im Wald befand.
Raphael gab sich Mühe, Eleanor von ihren Sorgen abzulenken. Er lachte und scherzte mit ihr, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Vögel, Eichhörnchen und Pflanzen. Eleanor durchschaute ihn, doch sie gab sich seinen Bemühungen hin und vergaß für eine Weile ihre Sorgen. Raphael war aufgrund seiner Herkunft und seines Lebens nicht wirklich fähig, Smalltalk zu treiben oder kurzweilig und amüsant zu sein. Gerade das aber machte ihn Eleanors Auges interessant. Seine oft linkischen Versuche unterhaltsam zu sein, lenkten sie besser ab, als ein normales Gespräch mit einem wirklichen Menschen es hätte tun können. Eleanor liebte ihn für diese Fürsorglichkeit. Sie verlor sich in seiner wunderbaren Stimme und seiner Nähe, die so wohltuend und angenehm war.
So dauerte es einen Augenblick, bis ihr schließlich auffiel, dass Raphaels Stimme verklungen war. Er war einen Schritt hinter ihr stehengeblieben, hatte den Kopf schief gelegt und schien zu lauschen.
„Was ist?“, fragte Eleanor erschrocken.
„Hörst du es nicht?“, flüsterte er, ohne sie anzusehen.
„Nein, was hörst du?“
„Da kommt jemand. Ich kann ihn hören.“
Eleanor blickte an ihm vorbei den Pfad entlang, den sie gekommen waren. Doch Raphael schüttelte den Kopf.
„Nein, er kommt von dort“, sagte er leise, indem er den Kopf nach rechts zum Eisenzaun bewegte. „Er kommt durch den Wald auf uns zugelaufen.“
Jetzt hörte auch Eleanor etwas. Das Knacken von Ästen und das Rascheln von Blättern. Es schien sich tatsächlich ihre Richtung zu zubewegen. Ein eiskalter Schauer lief Eleanor über den Rücken und sie schmiegte sich an Raphaels Seite, während sie furchtsam auf den Zaun starrte. Immer näher kam das fremde Wesen auf sie zu, Meter für Meter. Eleanor krallte sich an Raphaels Arm fest und starrte panisch zu ihm hinauf, doch plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. Er begann zu grinsen.
„Was? Was ist?“, fragte sie verwirrt, doch er antwortete nicht.
In diesem Moment hatte das Wesen im Wald die andere Seite des Zauns erreicht und begann über ihn hinweg zu klettern. Es schnaufte und keuchte, atemlos und gehetzt. Dann hatte es die Spitze des Zauns erreicht und ließ sich ungeschickt auf die Seite des Sanatoriums fallen. Es war Michael!
„Michael! Was tust du hier?“, entfuhr es Eleanor.
„Es war… es war in meinem Zimmer…“, stotterte Michael voll Angst. „… es war böse… ich weiß nicht, was es war…“
Er schien seine Umwelt kaum wahrzunehmen, so sehr stand er unter Schock. Er war schweißgebadet und atmete schwer, die Äste und Dornen des Waldes hatten ihm übel mitgespielt. Zahlreiche Kratzer auf seinen Armen und Händen leuchteten feuerrot, zudem hatte er eine lange, blutende Schramme auf der rechten Wange.
„Beruhige dich, Michael“, mahnte Raphael. Er berührte Michael am Arm und beinahe sofort verlangsamte sich dessen Atmung und sein wirrer Blick beruhigte sich nach und nach. Das Zittern fiel von ihm ab und er sah Eleanor und Raphael vollkommen irritiert an, so als nehme er sie erst jetzt wirklich wahr.
„Ihr?“, fragte er erstaunt. „Zu euch
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