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König für einen Sommer: Roman (German Edition)

König für einen Sommer: Roman (German Edition)

Titel: König für einen Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo ich war.
    Abends aufzuwachen ist schon verwirrend genug. In einem fremden Zimmer abends aufzuwachen schaffte mich völlig.
    »Hans ...? Ihr seid schon da? Wie viel Uhr ist es?«
    »Wir sind schon seit fünf hier. Und das, obwohl wir erst um vier heute Morgen losgefahren sind.«
    »Ihr habt nur elf Stunden gebraucht?«
    »Der CRX geht ab wie 'ne Rakete. Wir haben nur zum Tanken gestoppt.«
    »Ach ja, dein neuer Flitzer.«
    Hans hatte sich zwei Wochen zuvor einen Honda CRX gekauft. Ein Zweisitzer. Als Geschäftswagen. Sehr geeignet zum Transportieren von Bierkästen. Er war wirklich kein guter Geschäftsmann.
    »Das Ost-Ei ist tausend Tode gestorben während der Fahrt. Er zittert jetzt noch.«
    »Weißt du schon, dass du hier pennst?«
    „Ja. Danke, übrigens. Da drüben wär's mir doch zu heftig.«
    »Dachte ich mir.«
    »Komm, lass uns rübergehen. Die Jungs sind gut drauf.«
    »Das hab ich befürchtet. Geh ruhig vor. Ich komme gleich.«
    Ich duschte noch in aller Ruhe, aß mein letztes Brötchen und verließ das Apartment. Dass die Jungs gut drauf waren, konnte man bereits draußen auf dem Gang hören. Ihre Tür stand offen. Open House für jedermann. Drinnen bot sich mir ein unglaubliches Bild des Chaos. Wie hatten sie es nur geschafft, die Bude innerhalb von wenigen Stunden so einzusauen? Der Boden war klebrig. Feucht und klebrig. Ich tippte auf Bier. Zum Glück war ich nicht barfuß gekommen. An einer Wand hing ein Poster. Erich Honecker. Das konnte nur von Johnny sein. Der arme Erich war über und über mit Spucke befleckt. Leider hatte nicht jeder getroffen, denn die Wand rund um das Poster sah auch nicht gerade appetitlich aus. An der Decke klebten kleine Papierkügelchen. Welcher Idiot spuckt denn Papierkügelchen an die Decke? Leere Bierdosen überall. Und Kippen. Gut, es war ein Steinboden. Aber musste man ihn deswegen gleich zum Aschenbecher degradieren? Männer sind Schweine, definitiv. Und die größten Schweine waren alle mit mir nach Spanien gefahren. Sie saßen grunzend und grölend um einen runden Tisch. Aus einem Ghettoblaster schepperte Bad Religion. Es wurde Karten gespielt. Asse ziehen. Nicht um Karten zu spielen, sondern um einen Grund zum Trinken zu haben.
    »Hey, David! Ausgeschlafen?«, sagte Beckmann. »Willst du mit einsteigen?«
    »Na gut. Aber nur eine Runde.«
    »Alles klar. Hier, setz dich.«
    Natürlich blieb es nicht bei einer Runde. Aber zum Glück verlor ich nur ein einziges Mal.
    Ich brauchte frische Luft und ging auf den Balkon, wo ich fast über Hagens Feldbett stolperte. Hagen lag dort unter einem Moskitonetz und zog an einem Joint.
    »Du pennst hier draußen?«
    »Klar, Mann. Kommt locker. Gute Luft, Sternenhimmel. Was will man mehr?«
    »Coole Sache, eigentlich. Da drin würd ich's auch nicht aushalten.«
    Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich zu ihm. Er hielt mir seinen Joint vor die Nase. Ich nahm einen tiefen Zug.
    »Wie lange bist du eigentlich schon Bulle?«
    »Hab gleich nach der Schule angefangen. Dann neun Jahre Streife in Uniform.«
    »Schwer vorzustellen.«
    »Ach, das war eigentlich ganz okay. Klingt schlimmer, als es ist.«
    Von drinnen drang erneut Grölen und das Scheppern einer leeren Bierdose heraus.
    »Das wird die ganze Nacht so gehen«, sagte ich. »Du kannst ruhig bei uns auf dem Balkon pennen, wenn du willst.«
    »Nee, wieso denn? Die Jungs sind schon okay. Genau meine Wellenlänge.«
    Ob ich mit 36 auch noch so drauf sein würde? Ich meine, die Jungs waren mir ja jetzt schon stellenweise zu hart. Es machte Spaß, ihnen zuzusehen. Es gab immer etwas zu lachen mit den Jungs. Als Beobachter. Mithalten konnte ich da einfach nicht mehr. Oder ich wollte es nicht mehr. Nichts gegen einen ordentlichen Vollrausch. Aber dieses Exzessive von morgens bis abends alles, was reingeht, bis man umfällt, war nichts mehr für mich. Ob ich wohl alt wurde? Nein, am Alter konnte es nicht liegen. Hagen war 36 und immer noch mittendrin. Vielleicht wurde ich ja erwachsen. Nur ein ganz kleines bisschen. Dieser Gedanke jagte mir eine Höllenangst ein. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ich war Peter Pan. Ich würde immer Peter Pan bleiben. Ein Peter Pan, der weniger säuft, meinetwegen. Aber immer noch der Pan im Kampf gegen die Piraten.
    Die Angst verschwand langsam wieder. Nein, erwachsen war ich wirklich noch nicht. Dazu hätte ich einen Plan für die Zukunft gebraucht. Einen Beruf. Eine Karriere. Ein Ziel. Aber

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