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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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wäre. Aber mit welchem Blut denn? Es fließt hier nirgendwo Blut, vielmehr stockt’s in den Adern, weil nichts mehr stockt, schon gar nicht, wenn Frau Professor Stein GLEICHVIEL an die Tafel schreibt. Gleichviel, gleichviel, alles gleichviel. Gleichviel was, ich will’s in meinem Zimmer auf langen Stoff schreiben und ihn mit einer Haarnadel im Nacken, an meinem Kragen, befestigen und ihn dann durch die große Stadt und dort durch meine allerliebste finsterste Gasse schleppen.
    Nie wusste ich, was der Mensch ist, nie. Einmal, als ich ein Kind war, verirrte sich am Nachmittag ein Mädchen, neben dem ich nicht sitzen wollte, in meinen Garten. Nicht einmal A-A-A konnte es in diesem Augenblick sagen. Es strich, was es nicht hervorbrachte, die vielen fremden Gedanken, in den Rockstoff und blieb aber immer so hinter mir, ging nie wieder ganz von mir fort, frage mich keiner, weshalb. Ob’s wohl DER MENSCH war, der mich hier aufsuchte? Ob er, bevor er zu mir kam, hin und wieder schon in einem Buch war? Einem Buch? Und hat dort gefroren, weil die Sonne nicht sonnig war und der Himmel nicht blau und am Ende alles ganz anders gewesen sein wird. Und manchmal bewege ich mich in der Scham von damals noch fort, fort von hier, oder auch nur aufs Klo, weil es doch ein menschliches Bedürfnis ist, aufs Klo gehen. Und was, still, still, höre ich hier? – Es ächzt und es stöhnt neben mir, es klingt unverkennbar nach Liebe. Ist’s nicht wundersam und schön, dass von den Menschen am Institut für Gedankenkunde und Verstehen die Liebe am Klo gemacht wird? Besser da als nirgendwo, nicht wahr? Da pfeift meine Figur, meine von Professor Icks ins Leben gerufene Figur, erst recht ein Lied, pfeift einen kleinen Abgesang auf alles Intime und Vertraute in der Welt, auf die ganze und jetzt schon sehr zertrennte Liebe. Wozu denn, Menschheit, braucht für die Liebe ein Sofa in einem Zimmer, wer ein Klo am Institut für Gedankenkunde und Verstehen hat? Aufregung, Feuer, ein Verglühen. Auf dass alle es hören, alle, die Ihr da herein kommt, alle, die Ihr jetzt meiner Schleppe hinterher schaut! Ich, ich, ich durfte lauschen, ich, ein zu bildender, leiser Gedanke, durfte die Wirklichkeit treffen, am Klo unseres ehrenwerten Instituts. Ist die Liebe etwa keine Notdurft? Muss sie nicht sein? Und die Autos und Straßenbahnen ringsum uns fahren weiter, und Wolken ziehen vorüber, und der Portier putzt die Nasen der Steinköpfe und bittet sie flüsternd um Vergebung. Tage und Nächte kommen und gehen, und unten im Hof schweben die Blätter der Linde zu Boden. Und wessen Geschlecht schmückt das Lindenblatt? Keines und gar keines. Aufregung, Feuer, ein Verglühen! Aber der Mensch hier, weiß Gott, der dreht sich nicht nur um die Liebe. Der dreht sich zum Volk hinaus, auf die Straße. Dort hat das Taschentuch eine Seele bekommen, ein Geschenk von Frau Professor Stein, der dreizehnten Fee, die sich vom großen Fest ausgeschlossen wähnt, für immer und immer. Seht Ihr’s durch die Lüfte fliegen? Seht Ihr’s steigen und fallen wie einen Vogel? Und landen auf meiner Schleppe, aber erst viel, viel später, erst, wenn über DEN MENSCHEN alles gesagt ist. Was also noch? Er sitzt auf der Treppe und stellt sich tot. Er steht auf der Galerie und schaut große Löcher in meinen Nacken, auf mich, denn ich träume so gern, ich kann mit dem Träumen nicht aufhören, nie, niemals, und er braucht doch so dringend einen Traum. Er dreht sich nicht um, er dreht sich nie um, und wenn, dann nur, um zu sagen, dass er’s nicht war. Er wird mich nicht einmal gar nicht gesehen haben. Und wozu auch? Jetzt ziehe ich eine schöne, aus Worten gewirkte Schleppe hinter mir her, einen Schleier wie aus dem Buch. Den ganzen Menschen! Den ganzen Menschen, der hier auf den Korridoren in fernste Fernen schaut, auf dass am Horizont ein Tor sich öffne? Wo denn sonst, wenn nicht dort? Und heraus schaut, schon wieder, der Schnabel einer frechen Frage, wer, wer bist du denn, dass du so große Augen machst, so große verschleierte Augen, wegen der Liebe, wegen der Liebe? Und die Tür schließt sich, nicht die sich am Horizont öffnete, sondern die am Korridor aufging, um einen andern anderswo hinsehen zu lassen. Aber nein! Wenn der Himmel es auch nicht besser weiß, dann Schluss damit, Schluss.
    Gerade jetzt, in meiner liebsten finstersten Gasse, stecke ich fest. Ich kann das Gewicht nicht mehr ziehen, einen solchen Widerstand. Tritt denn jemand auf meine Schleppe? Frau Professor Stein

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