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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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und Herr Professor Icks. »So war das nicht gemeint, Lina Lorbeer. Es war alles ganz anders gemeint, ganz, ganz anders. Sind denn unsere Fragen so schwer verständlich?!« – Aber ich habe der Welt Antwort gegeben und die Straße gekehrt. Schauen Sie nur, schauen Sie nur hin! Dreck und Staub hat meine Schleppe aufgesogen und die Buchstaben, die schönen Worte, getränkt. – Der Narr schließt die Augen, legt eine Binde um Frau Professor Steins Augen und trägt sie auf Händen zurück ins Institut, in den Hörsaal. Vor dem Waschbecken hält er inne und setzt sie ab. Wie ruhig sie geworden scheint von solcher Berührung. Wie leicht und entspannt. Und da steht sie jetzt, mit der Blindheit eins wie im Schlaf, steht auf festem Boden und schläft im Stehen, vor dem Spiegel, in dem sie, so in Träume gefallen, die niemals, niemals aufsteigen werden, nichts von sich wiederfinden wird. – »Lina!« Nichts, gar keine Regung. »Lina!« Wieder nichts, wieder gar keine Regung. »Nimm ein Taschentuch, Lina!« Justin wirft mir ein Taschentuch herüber, ein Stofftaschentuch. Mein Notizbuch ist ganz nass geworden und die Wurst auf dem Teller des Königs gänzlich zerronnen. Zeit, nachhause zu gehen.
    Ging ich schon einmal durch diese Allee? Hin zu meiner Wohnung? Ganz bestimmt hat mich einst der Reisende über verfärbte Blätter hinweg in mein Zimmer getragen, mich in die Decke gewickelt und womöglich sogar aufs Sofa gelegt. Nacht war’s, schöne gute Nacht, und kein Licht mehr zu sehen, nirgendwo, nicht einmal ein kleiner heller Fleck an der Wand. So soll es wieder sein, so geborgen, als ob ich im Nachtzug in ein anderes Land führe, um beim Erwachen als ein gerade erst in die Welt gesetzter Mensch von vorne zu beginnen. Wie der Prinz, der dem Vater entronnen und in die Arme der Liebe gelaufen ist, die der Vater für ihn vorgesehen hat. Ja, so kann es kommen, so unerwartet unausweichlich. Und immer noch, sogar in meiner Zeit, in meinem, Lina Lorbeers Zimmer. Ob ich, um mich zu vergewissern, eines der alten Tagebücher aus dem Karton nehmen sollte? Ich will nicht, ich fürchte mich. Ich könnte bei gründlicher Lektüre der kühnen Idee verfallen, dass in meinem Leben etwas Schicksalhaftes wirke, und dann? Trällern mir gleich Herrn Professor Icks’ Bedenken ins Ohr, Bedenken bezüglich der Wünsche, sich als ein Vogel in die Äste von Bäumen zu setzen. Aber was hat mein Schicksal mit Ihrer Furcht vor den Vögeln und deren Gesang zu tun, Herr Professor Icks? Was denn? Und keine Freunde werde ich haben, wenn ich mich so gar nicht mehr darum bemühe, mit ihnen in ein und demselben Netz zu zappeln. Und dabei träume ich so gern von Fischen, von Fischen, die sogar in kleinsten und seichtesten Tümpeln und Regenlaken herumschwimmen, als wär’s das tiefste, unendlichste Meer, das sie umspült. Und nichts kommt vom Tage ins Wasser, nichts außer dem kleinsten Lichtstrahl, dem Lichtstrahl der Lampe aus dem Gedicht an meiner Wand. Sehnsucht, bist du noch da? Und Du, Jakob, lässt Du Dich noch in meinen Brief rufen? O, ganz sicher. Du sitzt nämlich in Deiner Küche, am Küchentisch, neben den zugeschlagenen Büchern und hörst, was die Stille unterbricht. Ist, glaubst Du, noch Grund zur Höffnung gegeben? Ja, Höffnung. (Ich habe mich verschrieben, und ich glaube, ich bleibe dabei.) Höffnung ist vielleicht besser als Hoffnung. Höffnung gibt es nicht, und was es nicht gibt, kann keiner zerstören. Darum Höffnung, Höffnung! Jakob, hättest Du kein Ohr für mich, kein Auge für meine vom Tag so oft ein wenig müden Worte und Hände, mir blieben alle Ideen aus. Woher sollten sie geflogen kommen, wenn ich nicht jemanden gefunden hätte, der sich schreiben lässt? Mein großer, geheimer Adressat, dem es wahrhaft und wirklich etwas bedeutet, dass mir sein Zuhören die Antwort ist. Eine leise Antwort, eine ganz leise Antwort, leiser noch, als ich selber es bin, wenn ich Frau Professor Steins Ansichten über mich glauben will. Aber vielleicht sind das gar nicht mehr ihre Ansichten, ihre Ansichten biegen sich so gern hin und her, und jetzt, wo sie mit Professor Icks auf meine lange Schleppe getreten ist und die beiden mein womöglich ganz unleises Lob auf den Menschen durch ihren Widerstand, ihre so starke Kraft beendet haben, wird sie mich auch nicht mehr fragen, ob ich ihr zu Diensten sein möchte, als was und für was auch immer. Und mit meiner »Klugheit« ist’s vorbei, alles, alles war anders gemeint, alles, alles habe ich falsch

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