Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
Vom Netzwerk:
Studentin in der ersten Reihe steht auf, kehrt Flora den Rücken zu und dreht sich zu den andern um, die noch im Raum sitzen. »Schreiben Sie, verehrte Frau Professor Tauber, mir einen Buchstaben auf den Pullover, auf den Rücken bitteschön.« Flora wird blass und lacht laut auf. »Bereits an meinem ersten Abend hier habe ich mich entschieden, Moderatorin zu werden. Einführen möchte ich das Volk in große Gedanken. Und mein Nachbar, der große einzuführende Denker und Dichter, wird ein Blatt von den Wänden des Instituts sein, mit einem kleinen Sprüchlein darauf. Ist das nicht beinahe wie hier, im wirklichen Leben, im wirklichen Leben des Instituts für Gedankenkunde und Verstehen ? Und groß wird das Erstaunen, wenn das Sprüchlein neben mir auf einem Sessel sitzt, einem Stuhl wie die Professoren hier am Institut. Und wird’s da ruhig und still sitzen bleiben, während ich spreche? Und nicht etwa nervös herumrutschen und mit einem Stock auf die Erde schlagen?« Die Studentin dreht sich zur Tafelseite um, von Flora ist nichts mehr zu sehen. Nur der Stock liegt am Pult und rollt, ganz unruhig, hin und her, hin und her –
    Und ich schleppe mich, in solchen Gesichten, hinauf in die Bibliothek, und vielleicht sogar dort noch hinauf zur Galerie, zu den vergangenen Jahrhunderten. Flora sitzt auf der Bank im Hof, neben einem Stapel Bücher, wo auf eingelegten Zettel fröhlich ein paar Namen heraus lugen, Frau Professor Stein kommt vorbei gelaufen, stellt ihr vorsichtig, ja, ganz diskret ein Büro in Aussicht, und schon ergreift und erschüttert mich ein Bild, eine kleine, nichtswürdige, gänzlich unwahrscheinliche Szene. Ich möchte die Zukunft solcherart nicht aufblitzen sehen, ich wünsche, dass sie mir unerwartet bleibt, nicht, fast nicht vorstellbar. Zwischen den Buchseiten will ich lieber einschlafen und von meiner Figur träumen, der Figur, die mich mir, »gesetzt den Fall, es käme noch an auf mich und Begegnungen wären noch bedeutsam«, nehmen sollte. Und dann! Klopfe ich dreist an die Bürotür von Herrn Professor Icks, nehme ihn an der Hand, ziehe ihn vors Fenster und führe ihm vor, wie man die Stirn an die Scheibe legt und den eigenen Atemhauch sich aufzehren sieht. Und immer aufs neue, immer aufs neue. Denn meine Figur, Herr Professor Icks –
    meine Figur mit dem Allerweltsnamen befremdet mich zuweilen so mit ihrem merkwürdigen Zwang, JA zu Menschen mit widrigen Ansinnen zu sagen. Da klopft sie wacker an die Türen, alsob die Bewohner der diversen Zimmer sie immer schon gerufen hätten, und bekommt dann so starkes Herzklopfen, dass sie gar kein Wort sagen kann und stumm bleiben muss. Wen würde da nicht Schwindel anrühren, später! Ein so unbedingtes, von irgendwoher, womöglich aus dunkelster Geschichte kommendes Ja – stammt’s nicht von einem Nein ab? Und verstrickt sich nicht unendlich, wer solcherart Ja sagt? Und könnt’s dann nicht sein, dass mein Allerweltsname, obwohl dringend ins Büro zitiert, schon über den Portier nicht hinauskäme, der da hinter Glas sitzt und schläft, weil Schlafen und Wachen gleichviel sind? Da sitzt meine Figur hinter dem Portier und rüttelt und schüttelt ihn leicht an der Schulter: Wach auf, Wächter, und erfülle Deine Aufgabe! Halte uns auf, unterbrich uns, wenn wir so zukunftsgewiss zum Hörsaal marschieren! Und der Wächter blickt kurz auf und murmelt, unterbrich dich doch selber und niemanden sonst. Und kaum hat er’s gesagt, schnarcht er schon wieder leise weiter, und ich, mit seinen rätselhaften Worten im Ohr, nehme zwei Stufen auf einmal auf der Treppe zum Hörsaal, und erkenne im Laufen, dass ich mich plötzlich, einen Satz auf der Treppe lang, mit meiner Figur verwechselt habe, meiner allerliebsten Figur, die in einem Buch in meinem Zimmer lebt, und dort Leben, buntes, dunkles, luftiges Leben schafft, und es zustande bringt, dass sich überall, gleichviel, ob im Hörsaal, in der Bibliothek oder im Büro von Herrn Professor Icks, Beinahe-Wunderbares ereignet. Ist nicht wunderbar, was sich hier zuträgt? Denn sehen Sie, verehrtes Publikum, Lina Lorbeer und Professor Icks sitzen jetzt plötzlich im Café des Instituts für Gedankenkunde und Verstehen und blicken tief in die Tassen vor ihnen. Schwimmt da am Grund des Kaffees vielleicht eine kleine Höffnung? »Mich rührt Ihre Zartheit, Lina Lorbeer. Ja, Sie scheinen mir ein zartes Wesen zu sein, man sieht Ihnen die Empfindsamkeit an. Mögen Sie ein Stück von meinem Kuchen?« – Nur, wenn keine

Weitere Kostenlose Bücher