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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Geschosse. Die Eingangstür war ganz mit poliertem Bronzeblech beschlagen. In der Mittagssonne funkelte sie, als wäre sie aus Gold. Es war nicht zu übersehen, dass der Venezianer, der dort lebte, sehr reich war. Ludwig hatte seinen Namen in Erfahrung gebracht: Enrico Dandolo. Er war ein griesgrämiger dürrer Kerl mit schütterem grauen Haar und einer Binde, die sein linkes Auge bedeckte. Nach dem Namen seiner Gattin hatte Ludwig allerdings nicht zu fragen gewagt. Er wollte keinen Verdacht erregen.
    Eilig, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte er die Außentreppe an einem weniger prächtigen Haus empor. Die Sonne versank hinter der Stadt und verwischte die Fassaden der Kirchen und Paläste zu schwarzen Silhouetten. Irgendwo jenseits des goldenen Horns war leises Donnergrollen zu hören. Es war so schwül, dass Ludwig das dünne Leinenhemd am Leib klebte. Er hatte seine Laute an einem breiten Lederriemen über die Schulter geschnallt, als er behände wie eine Katze von der Außentreppe auf das Dach des Hauses kletterte.
    Einige Augenblicke und zwei gewagte Sprünge später erreichte
er das rote Ziegeldach der Villa. Es war verrückt, was er hier tat. Noch wäre Zeit umzukehren. Er könnte sich den Hals brechen, den Wachen des Hauses in die Arme laufen oder – schlimmer noch – von der Dame zurückgewiesen werden, von der er nicht mehr als ein trauriges Augenpaar gesehen hatte. All das erhöhte nur den Reiz. Anno schalt ihn einen Narren. Und dieses eine Mal hatte der Sennberger gewiss Recht.
    Ein paar Tauben flatterten auf, als Ludwig vorsichtig zum Rand des Dachs kroch. Auf der Rückseite des Hauses lag ein kleiner Garten. Aus einem Fenster fiel Lichtschein auf die Bäume. Efeu wuchs bis zum Dach hinauf. Ludwig kauerte sich hinter einen gemauerten Kamin und nahm die Laute von der Schulter. Leise begann er zu spielen. Nicht eine bestimmte Melodie, sondern eine lose Abfolge von Akkorden. Er legte seine ganze Trauer und Sehnsucht in das Spiel der Laute. Die Einsamkeit der langen Suche nach seiner Stiefschwester, den Zorn auf seinen Vater, die ungestillte Sehnsucht der letzten Jahre.
    Der Mond war aufgegangen. Wie die frisch geschliffene Sichel eines Bauern hing er über der Stadt. Die Bäume im Garten bewegten sich sanft in der Brise, die vom Meer herüberwehte. Ein leises Geräusch ließ Ludwig mit dem Spiel innehalten. Das Licht im Haus war erloschen. Doch auf dem kleinen Balkon schräg unter ihm stand plötzlich eine weiße Gestalt. Eine Frau in langem Nachtgewand. Sie lehnte an der Brüstung und spähte in den Garten hinab. Ihr Haar war offen und fiel ihr wie ein weiter schwarzer Umhang über Schultern und Rücken. Sie war kaum größer als ein Kind.
    Ludwig wagte es nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben, so als habe er ein scheues Reh vor sich, das jeder unbedachte
Laut vertreiben mochte. Fasziniert beobachtete er, wie der Wind mit dem Haar der unbekannten Schönen spielte und sich die Schatten im Faltenwurf ihres Gewandes veränderten, wenn sie sich leicht bewegte.
    Warum stand sie noch immer dort unten? Sein Lautenspiel war längst verstummt, und doch blieb sie. Sie musste doch ahnen, dass sie beobachtet wurde!
    Licht erhellte plötzlich eines der Fenster. Eine raue Stimme ertönte. Der Hausherr schien zurückgekehrt zu sein. Langsam drehte sich die Schöne um und hob den Kopf, um zum Dach hinaufzublicken. Nur einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke, dann trat sie ins Haus. Ihre Augen hatten silbern geglänzt. Hatte sie geweint? Oder war es doch nur der Glanz des Mondlichts gewesen?
    Ludwig ließ den Kopf auf die warmen Dachziegel sinken. Er musste die Fremde wiedersehen und herausfinden, wer sie war.
     
    Heinrich erwachte, weil er sanft am Arm geschüttelt wurde. Sofort schnellte er hoch. Benommen blickte sich der Ritter in der Dunkelheit um. Dann erinnerte er sich wieder. Die Sophienkirche! Er war hierhergekommen, um in der Abenddämmerung auf den Mönch Zenon zu warten. Doch der Grieche war auch lange nach Sonnenuntergang nicht aufgetaucht.
    »Du machst deine Aufgabe nicht gut, Ritter. Von einem Krieger sollte man erwarten, dass er den Schlaf zu besiegen vermag«, erklang die spöttische Stimme des Mönchs.
    » Du weißt nicht, wovon du sprichst, Mönch«, entgegnete Heinrich gereizt, wobei er das Wort »Mönch« besonders abfällig betonte.

    »Glaub mir, mein Sohn, auch Mönche durchwachen so manche Nacht. Doch lass uns ein wenig spazieren gehen. Dies ist ein heiliger Ort und kein

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