Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
requiem quaesivi …«
»… et nusquam inveni nisi in angulo cum libro.« Der Fremde nickte. »In allem habe ich Ruhe gesucht und sie nirgends gefunden, außer in einer Ecke mit einem Buch. Nicht gerade ein Ausspruch, den man von einem Ritter erwartet. Mein Freund hat mir nicht mitgeteilt, auf was für Männer ich warten sollte, wohl um Euch zu schützen, falls sein Brief in falsche Hände gerät.«
»Ihr meint den archicancelarius …«
»Ich rede von einem Freund.« Der Mönch sah sich um. Abgesehen von den alten Männern waren sie allein. »Namen und Titel sind nicht von Bedeutung. Ich denke auch, dass es besser ist, auf eine Weise von ihm zu sprechen, die es Dritten unmöglich macht zu erraten, von wem wir reden, denn er ist in dieser Stadt nicht sonderlich beliebt.«
»Ihr habt mich schon seit vier Tagen beim Milion beobachtet?«
»Nicht nur das! Ich bin dir gefolgt und habe mir auch deine Gefährten angesehen. Ich wollte sicher sein, dass ihr auch wirklich die Richtigen seid.« Ohne Übergang war der Fremde zum vertrauten Du übergegangen, wie Heinrich bemerkte.
»Ihr seid ein misstrauischer Mann, Bruder.«
»Zenon ist der Name, den ich gewählt habe, als ich mich von der Welt abwandte. Und wie lautet dein Name?«
Heinrich stellte sich vor und nannte auch die Namen seiner Gefährten. Offensichtlich hatte Zenon sie tatsächlich bereits eine Weile beobachtet! Wie sich zeigte, war er bestens mit den Eigenarten der beiden Ritter vertraut.
»Wir sollten nicht zu lange an diesem Platz verweilen.« Zenon legte Heinrich eine Hand auf die Schulter und schob ihn sanft vorwärts. »Wenn wir gehen, ist es schwieriger, uns zu belauschen, ohne sich dabei zu zeigen. Lass uns zum Bukolen-Hafen hinuntergehen und die frische Seebrise genießen. In diesen Gassen könnte man ja schier vor Hitze ersticken.«
Heinrich ließ sich führen. Der Fremde plauderte ein wenig über die Stadt und versuchte, ihn unaufdringlich mit eingestreuten Fragen auszuhorchen. Schließlich aber kam er zur Sache und fragte, warum sein Cölner Freund sie geschickt habe.
Der Ritter erzählte von der falschen Königsreliquie und von der Legende, wie der heilige Bischof Eustorgius die Drei Könige nach Mailand gebracht hatte.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. »Eine erbauliche Heiligenvita«, sagte Zenon schließlich, als sie den Hafen erreicht hatten, »doch ich fürchte, sie wird uns kaum weiterhelfen, den fehlenden König zu finden.«
»Es gibt noch eine zweite Geschichte. Sie ist weniger fromm. Angeblich waren die Königsreliquien ein Geschenk aus Konstantinopel an den germanischen Feldherrn Odoaker, der Romulus, den letzten Kaiser Westroms, ermordete. Reliquien als Blutgeld!« Heinrich hielt inne. »Als Odoaker zu mächtig wurde, schickte der Kaiser von Byzanz seinen Heermeister Theoderich. Er belagerte Ravenna drei Jahre lang, und als die Stadt fiel und mit ihr Odoakers
Haupt, stahl jener Kaufmann, der einst die Heiligen nach Ravena gebracht hatte, die Reliquien und brachte sie in seine Heimatstadt Mediolanum. Der Kaufmann hieß Eustorgios.«
Zenon lachte. »Das hört sich nach einer wahrhaft byzantinischen Geschichte an. Der Kaiser, der dafür verantwortlich war, hieß übrigens Zenon, genau wie ich. Es war der Herrscher, der das Kirchenschisma mit den Lateinern herbeiführte und der die Nestorianer nach Persien vertrieb. Ein ebenso frommer wie streitbarer Mann.«
Heinrich fragte sich, warum der Mönch sich ausgerechnet diesen Namenspatron ausgesucht haben mochte. Eine Wahl, die ihn nicht gerade vertrauenerweckend erscheinen ließ!
»Ich kann nicht leugnen, junger Freund, dass ich über die Drei Könige nur wenig weiß. Ich werde zwei Tage brauchen, um zu lesen und nachzudenken. Treffen wir uns übermorgen vor dem Hauptportal der Sophienkirche. Und komm allein! Ich glaube nicht, dass ich auf die Gesellschaft deiner beiden Gefährten besonderen Wert lege! Sie scheinen mehr von Weibern und einem tüchtigen Schwertkampf zu verstehen.« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wandte der Mönch sich ab und verschwand in einer dunklen Gasse, die hinauf zum Hippodrom führte.
16
Ich sollte auf dem schnellsten Weg von hier verschwinden, dachte Ludwig, als er sich erhob. Schon den zweiten Tag beobachtete er das Haus der rätselhaften Frau. Er kannte inzwischen die Leute, die dort ein und aus gingen. Es war eine prächtige Villa mit reich geschmückter Fassade. Zierliche Säulen trugen die Bogenfenster der beiden oberen
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