Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Glut des Feuers gelegt und knetete nun in einer Schüssel frischen Teig.
»Wie kommt es, dass du die Sprache der Christen so gut beherrschst, Mahmud?«
Der Alte lächelte. »Vieles habe ich erlebt in meinem langen Leben. Als ich ein sehr junger Mann war, kamen die Ungläubigen in das Land, das noch östlich von Aila liegt. Ihre Krieger waren so zahlreich wie Sandkörner in der Wüste. Sie machten gute Beute, viele Sklaven. Ich habe mit ihnen gekämpft und viele Jahre mit ihnen verbracht, bis ich wieder zu den Herden meines Volkes zurückkehrte. Als mich einer ihrer Ritter beleidigt hat, bin ich gegangen. Nicht ohne seine Pferde mitzunehmen.« Mahmuds Augen glänzten. »Pferde von ihrem Blut stehen noch heute auf den Weiden der Awlad Said. Ich werde dir diese Geschichte von Anfang an erzählen.«
Der kleine Zeynel war auf Lupos Schoß geklettert und dort eingeschlafen. Der Falkner spürte, wie sich die Brust des Jungen bei jedem Atemzug hob und senkte. Wieder musste er an Amizio denken. All das war so lange her. Fast, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.
Er lauschte der monotonen Stimme des Alten und freute sich an dem Duft der frischen Brotfladen, die Alime auf den Stein in der Glut gelegt hatte. So geborgen hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt.
22
Der März war gekommen, und alles, was sie gefunden hatten, waren ein paar Zeilen, die erwähnten, dass die Kaiserin Helena tatsächlich eine zweite Reise ins Heilige Land unternommen hatte und mit kostbaren Reliquien nach Konstantinopel zurückgekehrt war. Eine genauere Beschreibung der Reliquien wurde allerdings nicht gegeben.
Heinrich sah von seinem Lesepult über die Dächer des Klosters zu den roten Bergen, die das Wüstental einschlossen. Der Winter war schnell vorübergegangen. Im Januar hatte es viel Regen gegeben, und für kurze Zeit hatte sich das Tal in eine grüne, blühende Landschaft verwandelt. Doch mittlerweile war es in den Mittagsstunden bereits wieder heißer, als es an den wärmsten Sommertagen im Rheinland wurde.
Verdrossen blätterte Heinrich in dem Codex, in dem er den Morgen über gelesen hatte. Es handelte sich um eine reich illustrierte kastilische Handschrift über die Apokalypse. Die Bilder waren von einprägsamem Schrecken! Das Buch schien schon durch viele Hände gegangen zu sein. Der schwere Einband war abgegriffen, und einzelne Seiten begannen sich aus der Handschrift zu lösen, so als hätten sie boshaft beschlossen, bei nächster Gelegenheit auf einem Windstoß von einem Lesepult im Scriptorium hinaus in die Welt zu reiten und ihren Schrecken unter die Menschen zu tragen.
Heinrich hielt die losen Seiten gegen das helle Mittagslicht. Vielleicht würde er ja ein Palimpsest finden, ein mehrfach beschriebenes Pergamentblatt, bei dem der ältere Text abgeschabt worden war, um die kostbare Seite noch einmal verwenden zu können. Gegen das Licht gehalten, konnte man oft die alte Schrift noch durchschimmern sehen. Ein paar Dutzend Mal hatten sie auf ihrer Suche solche wiederverwerteten Seiten gefunden, doch keine Zeile über Helena war dort geschrieben gewesen. Zenon schien aber entschlossen zu sein, jedes einzelne Buch in diesem Kloster auf diese Weise durchzusehen. Das würde noch viele Monate dauern! Ludwig und Anno langweilten sich. Sie kamen kaum noch ins Kloster, sondern blieben in der Hütte, die Demetrios bewohnte. Sie übten sich im Schwertkampf, als könnten sie mit Waffen eine Entscheidung herbeizwingen, oder machten lange Streifzüge durch die umliegenden Berge. Heinrich wusste auch, dass Anno einen kleinen Ast vom heiligen Dornbusch gestohlen hatte und in seinem Gepäck verwahrte. Vielleicht sollte der Sennberger einmal mit Zenon über Reliquien reden.
Mit einem Seufzen schloss Heinrich den dicken Codex. Ein reißendes Geräusch erklang. Der Einband hatte sich endgültig von den gebundenen Seiten gelöst. Erschrocken blickte Heinrich sich um. Keiner schien bemerkt zu haben, was geschehen war. Dem Vorsteher des Scriptoriums, bei dem er bis Sonnenuntergang das Buch wieder abgeben musste, würde der Schaden jedoch nicht verborgen bleiben.
Paulos und Petros waren seine einzige Rettung! Die beiden Mönche hatten ihr Refugium in einer kleinen, stets verschlossenen Seitenkammer des Scriptoriums. Sie hüteten die alten Bücher, reparierten beschädigte Exemplare, schnitten das Pergament für neue Bände und banden sie auch. Wenn er die zwei Brüder überreden könnte, ihm zu helfen, dann könnte der Schaden
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