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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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vielleicht rasch behoben werden.
    Heinrich klemmte sich das Buch unter den Arm und schritt zu der verschlossenen Tür. Niemand schien ihn zu beachten. Vorsichtig schob er die Tür auf und schlüpfte in den dämmrigen Nebenraum.
    »Oh, nein! Ich sage dir, es ist Ketzerei, für heilige Schriften Pergament zu verwenden, das von Rindern stammt, die von Ungläubigen aufgezogen wurden!«, ereiferte sich Petros, der ältere der beiden.
    »Und woran erkennt man die Haut eines ungläubigen Rinds?«, entgegnete Paulos. »Erkläre mir das bitte!«
    Heinrich räusperte sich, worauf die beiden in ihrem Streit innehielten. Die Roben, die sie trugen, wirkten grau vom Staub der Bücher. Ihre skeletthaft dürren Körper erinnerten ihn an tote, vom Wind geknickte Bäume, und ihre fahle, gelbliche Haut hatte die Farbe des Pergaments, mit dem
sie ihre Tage verbrachten. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war verblüffend. Sie hatten beide große, abstehende Ohren und schütteres Haar, dessen Farbe an welkes Gras erinnerte. Allein an Körpergröße unterschieden sich die zwei. Paulos, der Jüngere, war kleiner und schweigsamer als sein Bruder. Petros wirkte ständig gehetzt. Sein Blick weilte keinen Herzschlag lang an einem Fleck. Wenn er nicht irgendein Buch oder Pergament in den Fingern hielt, zupfte er an seiner Robe herum, strich sich über das Haar oder rieb die Hände aneinander.
    »Was für eine Freude, den Herrn Ritter in der Kammer begrüßen zu dürfen. Was verschafft uns die seltene Ehre Eures Besuches?« Man konnte nie wissen, ob Petros seine Worte ernst meinte oder ob er insgeheim ein wenig spottete.
    »Mir ist ein großes Malheur passiert.« Heinrich legte den beschädigten Codex auf einen Tisch neben einen hohen Stapel frischer Pergamentbögen.
    Sofort stürmten die beiden Mönche heran, beugten sich über das Buch, zupften an den Seiten und begutachteten die beschädigte Bindung. »Eine schlechte Arbeit«, brummte Petros. »Diese Bindung … Schlamperei! Das kommt nicht von uns.«
    »Und sieh dir den Schnitt der Seiten an«, ergänzte Paulos. »Sie sind ganz schief geraten.«
    »Ja, nicht einmal die Pergamentseiten, mit denen er den Bucheinband verstärkt hat, sind sauber verklebt.« Petros klopfte auf das abgegriffene Leder. »Eine geradezu abenteuerlich schlechte Arbeit.« Er zog das Deckblatt ab, das auf die Innenseite des Buchdeckels geklebt war.
    Heinrich zuckte unwillkürlich zusammen. Wenn die beiden
Mönche so weitermachten, würde er dem Vorsteher des Scriptoriums nur noch ein paar lose Blätter geben können.
    »Falsch angerührter Leim«, meinte Petros. »Ist mit der Zeit brüchig geworden.« Er hob den Kopf und blinzelte Heinrich mit grauen Augen an. »Dieses Buch ist so gut wie tot!«
    »Ich hoffte, dass … Wenn ihr vielleicht den Einband erneuern könntet.«
    »Den Einband erneuern?«, fragten beide Mönche wie aus einem Munde.
    »Und das wohl am besten noch bis Sonnenuntergang«, fügte Petros spöttisch hinzu.
    »Wenn es möglich wäre«, entgegnete Heinrich eingeschüchtert.
    »Möglich ist vieles«, erwiderte der ältere Mönch. »Die Frage ist nur, was haben wir davon, wenn wir uns für dich krummmachen.«
    »Ich behalte für mich, wen ich schon zweimal des Nachts zum Weinkeller habe schleichen gesehen.«
    »Wir wissen nicht, wovon du redest«, entgegnete Petros mit unschuldigem Lächeln.
    Nach dem Abendgebet war es den Mönchen befohlen, sich zur Ruhe zu begeben. Ohne einen besonderen Grund durften sie ihre Kammern nicht vor der vigilia, dem Nachtgottesdienst, verlassen, der gewöhnlich zwischen zwei und drei in der Frühe abgehalten wurde. Von den Besuchern des Klosters wurde nicht erwartet, dass sie sich dieser strengen Ordnung unterwarfen, obwohl Heinrich und Zenon fast an allen Messen teilnahmen. Das Zimmer des Ritters lag über dem Zugang zum Weinkeller des Klosters. Oft hatte Heinrich an seinem Fenster gestanden, wenn ihn seine unruhigen
Gedanken nicht schlafen ließen. Und dabei waren ihm die beiden Mönche aufgefallen, wie sie mit einem Krug in den Keller hinunterschlichen.
    »Man könnte vom Abt feststellen lassen, welche Mönche einen irdenen Krug, der mit schwarzen Blumen verziert ist, ihr Eigen nennen«, sagte Heinrich ruhig.
    Die beiden Brüder tauschten einen Blick. »Manche Jünglinge scheinen die Augen einer Eule zu haben«, brummte Petros verdrossen. »Aber einen Bucheinband in ein paar Stunden zu erneuern, sollte im Grunde keine Schwierigkeit sein. Der Leim wird allerdings noch

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