Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Festungsmauern verbluten zu sehen. Aber zuletzt würde er doch siegen. Mit jedem Tag wurde sein Belagerungsring dichter. Bald schon würden kein Wagenzug und kein Schmuggler es mehr schaffen, durch die tödliche Schlinge zu schlüpfen, die sich immer enger um Mailand zog. Es gab sogar Gerüchte, dass der Kaiser mit Hilfe von Eseln nach den unterirdischen Wasseradern suchen ließ, die Mailands Brunnen versorgten. Er wollte das Wasser abgraben lassen. Zuletzt würden Hunger und Durst den Sieg erzwingen, den Schwerter nicht zu erringen vermochten.
Aber was scherte Ludwig der Sieg des Kaisers, wenn er sein eigenes Ziel verfehlte. Er hatte sich dem Fürsterzbischof verschrieben! Er musste Rother finden, damit die Dinge nicht begannen, aus dem Ruder zu laufen.
Lange hatte Lupo der Falkner das rote Zelt beobachtet. Der Erzbischof hatte sich noch immer nicht zur Ruhe begeben. Sein Schatten bewegte sich unruhig hinter dem Tuch. Dich elenden Mörder flieht wohl der Schlaf, dachte er bitter. Er zog das Messer hervor, das er im Ärmel verborgen trug. Es
war nicht leicht gewesen, hier im Lager eine Arbeit zu finden. Die Deutschen waren misstrauisch, und zunächst hatte er den Fehler gemacht zu versuchen, in die Nähe des Kaisers zu gelangen. Doch der Stauferbastard hatte schon verschiedene Mordanschläge überlebt und war vorsichtig geworden. Selbst für einen Posten als Pferdeknecht im Heerlager hatte Lupo tagelang beim Quartiermeister betteln müssen. Das war der erste Schritt gewesen. Alles Weitere war leichter, nachdem er erst einmal zum Tross des Heeres gehört hatte. Eine Bestechungssumme von zehn Silbergroschen hatte ihn ein paar Tage später zum Laufburschen beim Mundschenk des Fürsterzbischofs aufsteigen lassen.
Ein letztes Mal musterte Lupo den schlanken Schatten hinter dem roten Tuch. Einen Mann der Kirche zu töten … Hätte ihm vor drei Jahren jemand gesagt, dass er eines Tages einem Wild im Purpur nachstellen würde, er hätte es nie geglaubt. Doch was zählte sein Seelenheil jetzt noch?
Lupo hatte das Zelt lange genug beobachtet, um zu wissen, dass der Erzbischof allein war. Endlich kam der wandernde Schatten zur Ruhe. Rainald hatte sich auf der Bank an dem langen Tisch in seinem Zelt niedergelassen.
Der Falkner sah sich um. Es musste schon gegen Mitternacht sein. Es war still geworden im Heerlager. Und der Erzbischof wandte ihm den Rücken zu. Er würde ihn nicht kommen sehen.
Irgendwo in der Finsternis erklang plötzlich Hufschlag. Lupo verließ seine Deckung. Es würde nur wenige Augenblicke dauern. Geduckt lief er zur Rückwand des Zelts und stieß die Klinge in den zähen, nassen Stoff. Ein Schnitt und drei Schritte trennten ihn noch davon, dem verfluchten Erzbischof das Messer ins Herz zu stoßen!
»Lupo! Wo steckst du, Kerl? Immer, wenn man dich braucht, bist du nicht da!«
Der Falkner zuckte zusammen. Im Zelt erhob sich der Schatten. Der Erzbischof begann erneut seine unruhigen Wanderungen. Eilige Schritte näherten sich. Lupo ließ seinen Dolch wieder im Ärmel verschwinden und trat vom Zelt zurück. Fast im selben Augenblick tauchte der Mundschenk aus dem Dunkel auf.
»Zum Henker, Lupo, was machst du hier? Hast du denn nicht gehört, wie ich dich gerufen habe?«
»Ich war bereits auf dem Weg zu Euch, Herr«, entgegnete er demütig und senkte den Blick. »Und ich habe auf Eure Rufe nicht geantwortet, um nicht die Herren Ritter aufzuwecken, die sich schon zur Ruhe begeben haben.«
Der Mundschenk räusperte sich nervös und sah zu Rainalds Zelt. »Gott sei gesegnet, dass der Fürsterzbischof noch nicht schläft.« Der kleine Mundschenk lächelte, und seine dunklen Augen funkelten. »Ich habe eine besondere Überraschung für unseren Herrn. Eben hat ein Reiter ein Geschenk des Kaisers gebracht. Komm!« Der Mundschenk bedachte den Falkner mit einem verschwörerischen Blick und zog ihn am Ärmel.
Obwohl er eigentlich zu seinen Feinden gehörte, schätzte Lupo den Mundschenk, der nie auch nur einen Augenblick stillstehen konnte und von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht das Dutzend Bedienstete auf Trab hielt, die sich um Rainalds leibliches Wohl sorgen sollten. Er führte den königlichen Namen Carolus, und wie ein König gab er sich auch, zumindest was die Küche des Erzbischofs anging.
Im Laufschritt eilten sie zu den Küchenzelten, die nur
einen Steinwurf vom großen roten Zelt Rainalds entfernt lagen. Aufgeregt deutete Carolus auf eine kleine Kiste, die auf dem Tisch stand, auf dem sonst
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