Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
und nach versteckten Kriegern Ausschau gehalten. Doch es kamen keine! Ich hatte dich damals im Portal von Sankt Eustorgio stehen sehen und damit gerechnet, dass du unseren Schmuggelweg verraten würdest.«
»Mein Leben war der Preis in einem Spiel, das du und dein Vater gespielt habt?«
Angelo schwieg einen Herzschlag lang. Dann schüttelte er den Kopf. »Dein Leben war niemals ernsthaft in Gefahr. Wir haben sogar erwogen, dich als Boten zu nutzen. Mein Vater setzt in dieser Stunde einen Brief an den Kaiser auf. Es gibt gewiss eine Möglichkeit, diesen sinnlosen Krieg endlich zu beenden. Mein Vater will dem Kaiser einige Vorschläge unterbreiten, bei denen keine von beiden Seiten im Falle eines Friedensschlusses das Gesicht verlieren würde. Traust du dir zu, bis vor den Kaiser zu gelangen?«
»Ich könnte den Erzbischof Rainald von Dassel …«
»Nein!« Angelo unterbrach Rother mit einer entschiedenen Handbewegung. »Der Cölner ist ein eingeschworener Feind unserer Stadt. Der Brief muss den Kaiser erreichen!«
»Das kann ich nicht versprechen. Ich bin nur ein einfacher Knappe. Er wird mich wahrscheinlich nicht empfangen.«
Angelo seufzte. »Nun ja, eine andere Möglichkeit haben wir nicht, wie es scheint. Wann immer eine Gesandtschaft von uns in euer Lager kommt, ist auch der gottverdammte Cölner zugegen!«
Rother schlug hastig ein Kreuz und sah zu den Särgen. Wie konnte Angelo nur in Gegenwart der Heiligen fluchen. Oder waren die Särge in Wirklichkeit leer?
Offenbar hatte der Lombarde den Blick missverstanden. »Ich werde dich jetzt allein lassen, damit du in Ruhe beten kannst. Alles Weitere können wir auch später noch besprechen.« Der Lombarde wandte sich zum Gehen.
»Es liegen tatsächlich die Heiligen Drei Könige in diesen schlichten Särgen?«
»So hat es zumindest unser Erzbischof Obert gesagt. Warum sollte er meinen Vater belügen?«
»Ja, warum«, flüsterte Rother so leise, dass Angelo es nicht hören konnte. Die Schritte des Jungen entfernten sich.
Für einen Moment war Rother versucht, einen der Särge zu öffnen. Doch sie waren sorgfältig vernagelt. Wieder fiel ihm dieser seltsame Geruch auf, der ihn an den Steinsarkophag in der kleinen Kirche vor der Stadt erinnerte. Rother kniete nieder. Ganz gleich, was Trug und was Wahrheit war, zu beten konnte niemals schaden. Vielleicht hatte der Herr ja Gnade mit seiner verwirrten Seele und sandte ihm ein Zeichen.
Eine Zeit lang glaubte Rother, er würde es nicht schaffen. Als sie durch das niedrige Gewölbe mit den quadratischen Säulen krochen, war er vor Angst fast erstickt. Dabei war er diesmal nicht allein. Angelo hielt eine Öllampe in der Hand und zeigte ihm das rot gefärbte Seil, das sich durch die Gänge zog, damit sich hier unten niemand verirrte.
Angelo rümpfte die Nase. »Ein grässlicher Gestank!«
Rother spürte, wie ihn der Lombarde aus den Augenwinkeln beobachtete.
»Auf der anderen Seite ist ein Rattennest«, fuhr Angelo fort. »Wir haben es vor ein paar Wochen ausgeräuchert. Seitdem stinkt es hier.« Er lachte leise. »Aber viel genutzt hat es auch nicht.«
Rother nickte nur. Von seinen Erlebnissen auf dem Weg durch die Tunnel hatte er nichts erzählt, und er würde auch jetzt nicht sagen, dass er wusste, woher der Gestank in Wahrheit rührte. Den ganzen Nachmittag hatte Angelo
ihn durch die Stadt geführt und ihm die wohlgerüsteten Wachen auf der Mauer gezeigt. Am Abend hatte es sogar ein kleines Fest gegeben, auf das Angelo und sein Vater Rother mitgenommen hatten – angeblich ohne jemandem verraten zu haben, was für einen Gast sie ins Haus brachten. Alles Trug! Rother hatte deutlich gespürt, wie alle ihn verstohlen beobachteten. Man glaubte, ihn blenden zu können, aber er hatte auch den Berg von Leichen im Kanal gesehen. Bleiche Gestalten, ausgemergelt von Hunger und Krankheiten.
»Lass uns weitergehen.« Angelo hob seine Lampe und wies zu dem langen, geraden Kanal. »Es ist noch ein ganzes Stück.«
Auf dem Weg zum Friedhof blieb Angelo stumm. Rother dachte noch immer an die Gruft unter dem Glockenturm. Hatte er wirklich vor den Särgen der Heiligen gestanden? Fast eine Stunde war ihm zum Beten geblieben, und ganz zum Schluss hatte er geglaubt, etwas gespürt zu haben. Eine Kraft … War es denn nicht ein Wunder, dass er seinen Besuch in Mailand überlebt hatte, obwohl er gefasst worden war? War nicht das allein schon ein Zeichen Gottes?
Als sie sich der Grabkammer auf dem Friedhof bei Sankt
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