Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
des Jungen, um ihn besser verstehen zu können. »Der dritte König … Finde ihn! Ich weiß, du …« Die Worte gingen in einem Keuchen unter. Rother bäumte sich auf. Er öffnete den Mund in dem verzweifelten Versuch, noch etwas zu sagen. Dann sank er in sich zusammen. Seine Augen starrten weit vor Entsetzen.
Rother war tot. Sein Antlitz wirkte entspannt. Es war wieder zu dem Gesicht eines Jungen geworden. Schmerz und Wahn waren von ihm abgefallen. Der zu schnelle Aufstieg. Der Tod, er hatte Rother seine Würde zurückgegeben. Wie ein Wunder erschien Heinrich die Verwandlung. Und der Ritter war sich sicher, dass sein Gefährte den Weg ins Himmelreich gefunden hatte und ihm jene unaussprechliche Sünde verziehen worden war.
Heinrich drückte ihm die Lider zu. »Ruhe wohl, mein Freund.«
»Man sagt, dass es am dunkelsten kurz vor dem Sonnenaufgang ist. Gott allein weiß um die Qualen, die man dir in Mailand bereitete, Rother, Baron von Linn. So viele verdanken dir so vieles. Doch der Lohn, den du empfingst, war nur ein grausamer Tod.«
Mit düsterer Miene beobachtete Heinrich, wie der Erzbischof in seiner Rede innehielt und seine Arme theatralisch zum wolkenverhangenen Himmel erhob.
»Ich weiß, dort, wo du nun bist, wird dir jede Ungerechtigkeit durch tausendfache Wonnen vergolten sein. Doch auch hier soll dir ein später Lohn zuteilwerden.«
Man hätte glauben können, Rother und der Erzbischof wären die besten Freunde gewesen, dachte Heinrich bitter. Dabei musste man nur genau hinhören, um die Falschheit von Rainalds Worten zu erkennen. Heinrich blickte über die weite Schar, die sich vor dem Grab versammelt hatte. Der Kaiser und die Kaiserin waren anwesend, Bischöfe, Grafen und Ritter, einfache Soldaten und Knechte. Nie zuvor hatte er zu einem Begräbnis so viele Trauernde versammelt gesehen. Rother war in seinem Tod zu einer Legende geworden, zum Kronenritter, wie man ihn nun allerorten nannte.
»Du warst uns allen ein Licht in dunkler Zeit. Ein Vorbild, dessen Tapferkeit nicht vergessen sein wird. Ich beuge mein Haupt in Ehrfurcht vor dir. Schon jetzt singt man Lieder von deinen Taten, und ich bin gewiss, dein Name wird dereinst gemeinsam mit denen der großen Helden genannt werden. Es gibt niemanden, der dein Wappen erben wird, um unter den drei Kronen kühne Taten zu vollbringen. So erlaube nun mir, dass ich sie den elf Flammen hinzufüge, die meinen Schild schmücken. Das Gold der Kronen soll mir leuchten in dunklen Stunden, auf dass ich niemals vergesse, wofür du gestorben bist.«
Der Erzbischof nahm eine Handvoll der lehmigen Erde, die neben dem Grab zu einem kleinen Hügel aufgeworfen war, und ließ sie auf den Sarg in der Grube fallen. »Ruhe in Frieden, Kronenritter.«
Selbst hier, wo das Reich der Lebenden nur noch einen Spatenstich vom Reich der Toten entfernt lag, galt die Etikette höfischer Ordnung. Abwesend beobachtete Heinrich, wie zunächst Kaiser und Kaiserin neben das Grab traten und ihnen dann streng nach ihrem Rang die Adligen des Reiches folgten.
Heinrich selbst verzichtete darauf, an das Grab zu treten. Regen hatte wieder eingesetzt und sorgte dafür, dass die meisten Adeligen rasch ihre Quartiere aufsuchten. Nur ein paar Trauergäste blieben zurück. Sie verharrten lange am offenen Grab und murmelten ihre Gebete. Rothers Grab würde zu einer Wallfahrtsstätte werden, da war Heinrich sich ganz sicher. Viele würden hierherkommen, um den Kronenritter um seinen Beistand zu bitten. Wie einen Heiligen würden sie ihn anbeten und sich erhoffen, ein wenig von der Kraft und dem Mut Rothers auch für ihr Leben zu finden.
Zwei Gestalten lösten sich aus der Trauergemeinde und traten an Heinrichs Seite. Es waren Ludwig und Anno. So wie ihm, mussten den beiden die Lügen von Dassels bewusst sein.
»Ich werde nicht zulassen, dass einer von uns dreien ein solches Schicksal erleidet«, sagte Anno und blickte zu Rothers Grab. »Nie werden Ludwig oder du, Heinrich, in die Hände der Feinde fallen. Das schwöre ich bei Gott. Mögen die Erzengel mir mein Herz herausreißen, wenn ich diesen Eid breche.«
Ludwig trat einen Schritt vor, und für einen Moment sah es aus, als wolle er an Rothers Grab auf die Knie fallen. »Das will auch ich schwören. Wir wollen gemeinsam siegen oder untergehen.«
Dann sahen die beiden Ritter Heinrich an. Er nickte feierlich. »So sei es. Ich schwöre im Andenken an Rother, dass keiner von uns jemals den anderen im Stich lassen wird. Wir drei werden mit
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