Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
durch die Kirche geisterten.
    Weihrauch hing in der Krypta wie Novembernebel. Nur wenige Öllämpchen brannten noch an der Decke. Licht und Schatten tanzten in unstetem Reigen. Es fröstelte Heinrich. Rother richtete sich plötzlich in ihren Armen auf. Sprachen die Heiligen wirklich zu ihm?
    Der Mönch begann leise das Te Deum zu singen. Die Worte halfen ein wenig gegen das klamme Gefühl, das ihn beschlichen hatte. Auch Heinrich fiel in das Loblied auf den Herrn mit ein. Würden sie Zeugen eines Wunders werden? Es hieß, dass die Macht der Heiligen Lahme wieder gehen ließ und Blinde sehend machte. Würden die Drei Könige Rother helfen?
    Sie trugen ihn zu dem großen Altar am anderen Ende des Gewölbes. Verwundert musterte der Mönch den Leichnam des entkleideten Heiligen, der dort aufgebahrt lag.
    Plötzlich warf sich Rother mit einem Ruck nach vorne. Der Junge schrie, als habe man ihm einen Spieß in die Eingeweide gestoßen. So unerwartet kam sein Aufbäumen, dass er sich dem Griff des Mönchs und des Ritters entwand. Es klang wie das Geräusch brechender Äste, als Rother auf die Leiche stürzte.
    Heinrich starrte wie gelähmt. War der Junge vom Teufel besessen? Oder warum gebärdete er sich so?
    »Sie sprechen nicht mehr zu mir!«, schrie Rother in äußerster Seelenqual und wand sich am Boden. »Nicht mit den richtigen Stimmen! Betrug! Hört ihr es denn nicht.
Die eine Stimme! Betrug!« Der Junge hämmerte mit den Armstümpfen auf den Heiligen ein. Jeder Hieb ließ Knochen splittern und wirbelte feinen, bräunlichen Staub auf. »Betrug! Es war vergebens! Sie …«
    Heinrich fand als Erster die Fassung wieder. Er packte Rother und zerrte ihn zurück. »Was hast du nur getan!«
    »Die Stimme! Hörst du denn nicht? Diese Stimme! Teufelswerk. Alles nur Blendwerk Satans!!«, brüllte der Junge vollkommen außer sich.
    Der Archipoeta kniete neben dem Altar nieder. Ein schwerer Silberreif war zu Boden gefallen. Strähnen von dunklem Haar waren um das Metall gewunden. Die Reliquie war völlig zerstört. Der Schädel wie eine trockene Frucht zerplatzt, und aus dem eingedrückten Brustkorb ragten gebrochene Rippen.
    »Schafft diesen Irren fort«, erklang eine düstere Stimme von der Treppe. Reglos stand Rainald von Dassel da und blickte auf die Ritter hinab.
    Der Archipoeta konnte die Augen des Erzbischofs nicht erkennen, aber das musste er auch gar nicht, um zu wissen, welch heiliger Zorn in ihm wütete. »Herr, es ist ein Unglück geschehen …«, begann er, aber da versagte seine Stimme ihm den Dienst, und das silberne Diadem fiel ihm aus den Händen.
    »Schafft den Jungen fort!«, befahl der Erzbischof erneut. »Er hat mich vor der Versuchung bewahrt, es den Mailändern gleichzutun. Dennoch soll er nie wieder an diesen Ort zurückkehren. Und was euch angeht …« Er fixierte den Mönch und Heinrich mit einem langen Blick. »Ich habe eine Aufgabe für euch! Die zerstörte Reliquie ist eine Fälschung, und ihr werdet mir helfen, die richtige zu finden.«

14

    Auf Weisung des Erzbischofs brachte man Heinrich und Rother in eine kleine Kammer, die zwei Schreiber in aller Eile hatten räumen müssen. So eng und abweisend war der Raum, dass er mehr an eine Gruft als an ein Schlafgemach erinnerte. Die grauen Wände waren feucht, und es gab keine Feuerstelle, um die Kälte zu vertreiben. Demütig hatte Heinrich den Erzbischof gebeten, dem sterbenden Rother ein anderes Quartier zu überlassen, doch Rainald hatte sich nicht erweichen lassen. Er hatte über Rother den Stab gebrochen. Vielleicht, weil der Junge ihm nicht mehr von Nutzen sein konnte.
    Rother war in seinen Fieberwahn zurückgefallen und murmelte ohne Unterlass, dass die Stimmen ihn verlassen hätten. Seine Wunden waren wieder aufgebrochen, und seine Verbände waren durchtränkt von Blut und Eiter.
    Die ganze Nacht über wachte Heinrich an Rothers Lager. Er hatte den Schmutz aus dem Gesicht des Jungen getupft und ihm die Stirn mit feuchten Umschlägen gekühlt. Er musste für ein paar Momente eingenickt sein, als ihn Rothers heisere Stimme weckte.
    »Du sollst mein Erbe sein!«
    Heinrich fuhr auf. »Rede nicht von so etwas«, stammelte er unbeholfen.
    Rother gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. »Die Flamme des Lebens brennt nur noch schwach in mir. Doch ich habe gebeichtet. Meine Seele ist rein.« Er verstummte.
Tränen glänzten in seinen Augen. »Der dritte König … Er ist nie hier … gewesen. Dort lag …«
    Heinrich beugte sich dicht über das Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher