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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Beklommenheit wuchs. Trostlosigkeit und Verfall; in den Bürgersteigen gefangene Botschaftstypen. Abkehr von allen bestehenden Strukturen und Mustern. Was konnte so etwas verursachen? Die Landschaft war nicht nur das Fundament ihrer eigenen Bilderwelt; sie war auch eine Basis von Zeichen und Symbolen für einen Großteil der auf hoher Ebene ablaufenden Aktivitäten der Primärpersönlichkeit und anderer wichtiger Organons. Zersetzung oder Verringerung ihres Gehalts an Symbolen ließ auf eine erhebliche mentale Funktionsstörung schließen – aber die Therapeuten hatten keine größere Funktionsstörung bei Goldsmith entdeckt.
    Weiter vorn am Ende der Straße führten Betonstufen mit einem Stahlgeländer zu einer anderen Straße hinunter, die mehrere Dutzend Meter tiefer lag. Martin nahm erneut Carols Hand, und sie setzten ihren Abstieg fort.
    | Vielleicht finden wir ein Taxi, meinte Carol.
    Die Straße unter ihnen war voller Papier, das von Strudeln illusionärer Luft aufgeweht und herumgewirbelt wurde. Martin bückte sich im Gehen, um ein Blatt zu erhaschen, aber es wich ihm aus, als ob es lebendig wäre. Carol versuchte es auch, ebenfalls ohne Erfolg. Als sie am Ende der Straße anlangten und sich in Richtung des Wolkenkratzerkamms wandten, hatte das Papier Feuer gefangen und war zu kleinen Stückchen schwarzer Asche verbrannt. Martin schaute nach oben und stieß Carol an, wobei er auf ein riesiges Plakat zeigte, das die fensterlose Seite eines dunklen, fünfstöckigen Hauses bedeckte. Verschwommene Buchstaben, die sich immer wieder änderten, ohne je einen Sinn zu ergeben, bedeckten den unteren Teil des Plakats. Das Motiv des Plakats war das Brustbild einer menschenähnlichen Gestalt mit einem vollkommen glatten, eiförmigen Kopf.
    | Wählt Mr. Gesichtslos, sagte Martin.
    | Den Mann des Volkes, stimmte Carol zu.
    Sie gingen mehrere Blocks weit durch die äußeren Wohnviertel, ohne irgendwelche Einwohner zu sehen. Carol verglich die Szenerie mit einem Kriegsgebiet; ein Territorium, das aus Furcht vor einem Atomschlag verlassen worden war.
    | Vielleicht gibt’s gerade eine Wirtschaftskrise, meinte Martin. Ich habe noch nie etwas derart Verlassenes gesehen.
    | Möchte wissen, wieso es überhaupt da ist. Ein Memento mori.
    Über all den eintönigen, leeren Ziegelhäusern lockten die leuchtenden Wolkenkratzer der Stadt, aber sie schienen nicht näherzukommen. Nach einem anscheinend stundenlangen Fußmarsch, der zwar mühelos, aber trotzdem enervierend war, blieb Martin stehen und holte seinen Werkzeugkasten herunter.
    | Wollen wir jutzen? fragte Carol. Jutzen war ein Lehnwort, das sie benutzten, um den manuellen Übergang von einem Kanal zum anderen zu beschreiben. Er hatte das Wort seit Jahren nicht mehr gehört; er lächelte über die Erinnerungen an leichtere Erkundungen mit unmittelbareren Resultaten, die es heraufbeschwor.
    | Ich will bloß mal auf die Uhr schauen. Weitere dreißig Sekunden.
    Er dachte darüber nach. | Wir müßten inzwischen im Zentrum der Landschaft sein. Falls die Wolkenkratzer das Zentrum sind, kommen wir ihm nicht näher. Wenn wir jutzen, könnten wir’s vollständig verlieren…
    | Ich bin absolut dafür, sagte Carol.
    | Ich finde nicht, daß wir’s tun sollten. Das hier hat etwas zu bedeuten.
    | Rufen wir uns ein Taxi.
    Das war nur halb ein Scherz. Sie konnten dafür sorgen, daß sich gewisse Dinge manifestierten; aber unter den gegenwärtigen Umständen widerstrebte es Martin, der Landschaft ihre eigenen Bildelemente aufzuzwingen, wenn es nicht unbedingt sein mußte. Vielleicht ließ sich jedoch ein Kompromiß finden – ein Bildelement, das sie dazu bringen konnten, ihnen von Nutzen zu sein.
    | Suchen wir eine U-Bahn, schlug er vor.
    Sie sahen sich um. Auf den Straßen gab es nichts, was nach einem U-Bahn-Eingang aussah.
    Die Trommeln schlugen beharrlich weiter, wie Stakkato-Herzschläge.
    | Und er hat gesagt, er sei in Brooklyn aufgewachsen, sagte Carol stirnrunzelnd.
    | Da wohnt er schon lange nicht mehr. Vielleicht können wir die Häuser nochmal untersuchen… Laß uns in die Keller gehen. Anregen, daß es irgendeine Transportmöglichkeit gibt.
    Sie gingen zu einem leeren Laden – vielleicht einem ehemaligen Lebensmittelgeschäft – im Erdgeschoß eines zweistöckigen Hauses hinüber, das sich über die ganze Länge des Blocks erstreckte. Das Innere des Ladens war detaillierter: Gänge und Regale, eine Registrierkasse aus einem schieferartigen Material – eher

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