Koenigin der Meere - Roman
Hinterkopf.
»Wie groß ist das Loch?«, fragte sie und wischte ihre blutige Hand an der Hose ab. Jubilo untersuchte sie gewissenhaft.
»Es ist kein Loch, es ist ein Riss, etwa so lang wie mein kleiner Finger.« Er hielt seine rechte Hand in die Luft.
»Dann ist es nur eine Platzwunde, die kann Hamilton nähen, wenn er dieses Inferno zufällig überlebt hat.« Sie sah sich um.
Die Lage auf der Juliana war ernst. Der Sturm hatte dem mächtigen Schiff so sehr zugesetzt, dass zu befürchten stand, es könnte binnen der nächsten Stunden in zwei Teile brechen. Planken und Spanten ächzten und stöhnten, als wollten sie der Besatzung raten, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Rackham saß auf dem Vorderdeck und presste die Lippen zusammen. Mit der Linken stützte er seinen rechten Unterarm. Die rechte Hand war mit einem Tuch bedeckt. Anne stand neben ihm.
»Davon, dass du es unter einem Lappen versteckst, wird es nicht besser. Lass es mich wenigstens ansehen!« Rackham schüttelte den Kopf.
»Da ist nichts zu sehen. Furzdonnerschlag! Das ist keine Hand mehr, das ist nur noch ein Klumpen. Hol mir ein Stück Segeltuch, damit ich den Arm in eine Schlinge legen kann. Und sag den Leuten, sie sollen gucken, in welchem Zustand die Beiboote sind. Die Juliana macht es nicht mehr lange. Je schneller wir von Bord kommen, umso besser.« Wie zur Bestätigung seiner Worte knackte es vor seinen Füßen, und zwei Planken schoben sich auseinander.
Die Beiboote der Juliana hatten den Sturm unbeschadet überstanden. Rackham ordnete an, dass die Toten dem Meer übergeben wurden. Seine rechte Hand war mit einem blutgetränkten Lappen fest
umwickelt, der Arm ruhte in einer Schlinge. Die Besatzung belud die kleinen Boote mit Proviant und Werkzeug. Rackham ließ die Kiste mit dem Lösegeld für Mrs. Thomson vor seine Füße stellen.
»Männer, was jetzt auf uns zukommt, ist nicht ganz einfach. Kompass, Fernglas und Sextant sind über Bord gegangen. Ich sage euch ehrlich, dass ich keine Ahnung habe, wo uns dieser teuflische Sturm hingetrieben hat. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an der Sonne zu orientieren und zu hoffen.«
Dicht nebeneinander fuhren die vier kleinen Boote ins Ungewisse.
Während auf der Juliana nur wenige Tote und Verletzte zu beklagen waren, hatte es die Bladen sehr viel schwerer getroffen. Virgin versammelte die Mannschaft auf Deck und musste feststellen, dass er nicht mehr genug Männer hatte, um das Schiff zu manövrieren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die Hilfe der Sklaven zurückzugreifen.
»Du hast wirklich mehr Glück als Verstand«, herrschte er Jubilo an. »Eigentlich gehörst du ausgepeitscht dafür, dass du die Neger freigelassen hast. Aber jetzt brauche ich jeden Mann, und da nutzt es mir nichts, wenn du mit aufgeplatztem Rücken irgendwo rumliegst und nicht arbeiten kannst.«
Jubilo hörte den Hass in Virgins Stimme und fürchtete sich vor ihm. Mary hatte sich inzwischen auf die Suche nach Doktor Hamilton gemacht und fand den Arzt unter Deck in einer Ecke neben der Vorratskammer. Er saß auf seiner Medizinkiste und presste seine Ledertasche mit beiden Händen fest an sich.
»Doc, was machen Sie denn hier unten? Oben sind ein paar Leute, die brauchen Ihre Hilfe.« Sie drehte sich um. »Ich habe was am Kopf abbekommen, kriegen Sie das wieder hin?« Hamilton stand auf und besah sich Marys Hinterkopf.
»Hier ist es zu dunkel, ich kann nicht richtig sehen, aber ich denke, das kann ich nähen.« Er folgte ihr an Deck.
Ben Hamilton arbeitete den ganzen Tag, ihm zur Seite Jubilo, der sich als ausgesprochen hilfreich erwies. Marys Platzwunde war längst genäht. Sie ignorierte ihre dröhnenden Kopfschmerzen und half, das Durcheinander auf dem Schiff zu beseitigen. Der Schiffszimmermann
war damit beschäftigt, das Leck zu flicken, das Jubilo noch während des Sturms entdeckt hatte, da schrie der Ausguck: »Land in Sicht!«
Besatzung und Sklaven brachen in Freudenschreie aus. Land bedeutete Rettung. Man würde das Schiff überholen können, die Sturmschäden beheben und dann weitersegeln und die Sklaven auf Barbados doch noch verkaufen können.
Henry Virgin rieb sich die Hände. Egal, ob Gott oder Teufel, wer auch immer für Piraten zuständig war, diesmal meinte er es gut mit ihm. Wenn Rackham nicht wieder auftauchte, und die Wahrscheinlichkeit war gering, hatte er sein eigenes Schiff und eine satte Prise an Bord. Er ging in die Kapitänskajüte und genehmigte sich einen
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