Koenigin der Meere - Roman
lasse, verreckt er, und ich bin ihn los, durchzuckte es Virgin. Aber wenn die anderen ihn finden, und er sagt, dass er mich gesehen hat, bringen sie mich um. Außerdem kriege ich dann die Belohnung nicht. Die Vision, Annes Geld zu bekommen, gab den Ausschlag. Virgin zerrte Rackham aus dem schmalen Eingang ins Freie, hob ihn auf die Schulter und schleppte ihn zum Lager. Der Kapitän war völlig ausgetrocknet und schwach, aber bei Bewusstsein, als Anne am Abend zurückkehrte.
»Jetzt sind wir quitt«, brummte Virgin. Anne schüttelte den Kopf.
»Du irrst. Ich habe dein Leben gerettet, aber für Rackhams Leben bezahle ich mit meinem Anteil aus dem Lösegeld für Mrs. Thomson. Du hast mir also keinen Gefallen getan, sondern einen Dienst erwiesen.«
In der Nacht hielt sie Wache an Rackhams Schlafstelle.
»Ich flehe dich an! Bring mich nach Nassau. Lass mich nicht hier verrecken wie einen Hund. Bring mich in mein Paradies. Ich will in meinem Paradies sterben«, bettelte Calico Jack. Anne fällte eine Entscheidung.
»Ich werde versuchen, mich mit unserem Kapitän nach New Providence durchzuschlagen, und dort ein Schiff besorgen, das groß genug ist für uns alle. Die Kiste mit dem Geld lasse ich hier, nehme nur den Anteil des Kapitäns und der Männer heraus, die mich begleiten. Niemand kann sagen, ob ich es schaffe, aber einen Versuch ist es wert. Ich nehme Jubilo, das Mädchen und Hamilton mit und brauche ein halbes Dutzend Männer, die sich auf das Wagnis einlassen. Ihr wisst alle, dass es ein gefährliches Unterfangen ist, aber es ist unsere einzige Chance.« Die Freibeuter brauchten zwei Tage, um über ihren Vorschlag abzustimmen. Schließlich nahmen sie ihn an. Virgin war unter den Freiwilligen, die sich für die riskante Fahrt meldeten, doch Anne und die anderen Männer wollten den unberechenbaren Piraten nicht an Bord haben. Seine Narbe war zornrot geschwollen, als er sich dem Votum beugte.
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M it Hilfe einiger Männer wählte Anne in der Bucht das stabilste Beiboot und stattete es mit den brauchbaren Utensilien der anderen Boote aus. Jubilo und Kisu schnitten das Fleisch eines erlegten Rindes in hauchdünne Scheiben, bestrichen es mit Salzwasser und legten es zum Trocknen in die Sonne. Kokosnüsse wurden von den Bäumen geschüttelt und an Bord gebracht, vier schadhafte Fässer repariert und mit frischem Quellwasser gefüllt.
Die kleine Mannschaft orientierte sich an der Sonne. Rackham hielt das Ruder. Er hatte die vergangenen Tage damit verbracht, aus dem Gedächtnis die Route, die sie vor dem Sturm genommen hatten, in den Sand zu zeichnen, und versucht, auf diese Weise, die Position der Insel zu bestimmen. Aber er musste eingestehen, dass seine Berechnungen nur mit sehr viel Glück stimmten.
»Wir waren auf dem Weg nach Barbados«, wiederholte er ein ums andere Mal. »Und das bedeutet, dass Providence im Norden liegen muss. Wenn ich nur wüsste, wo dieser verfluchte Sturm uns hingetrieben hat, dann wüsste ich auch, ob Kurs Nordost richtig ist.«
Fast ein Monat war vergangen. Ein milder Wind half den Piraten, die Richtung mühelos zu halten, dennoch war die Stimmung auf dem kleinen Schiff gedrückt. Mit jedem Tag wuchs die Angst. Die Vorräte schwanden, das Wasser schmeckte brackig.
Ben Hamilton saß am Bug und schaute auf das Meer. Eine eigene Praxis war sein Traum gewesen. Ein kleines Häuschen, eine Frau und ein paar Kinder. In Ruhe und Beschaulichkeit Kräuter sammeln und kranke Menschen heilen, und das alles im milden Klima der Karibik.
Stattdessen hockte er in einem winzigen Boot und schaukelte vermutlich dem Tod entgegen. Er stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Vom Heck drang Jubel an sein Ohr und schreckte ihn auf. Kisu hatte backbord mehrere kleine Punkte ausgemacht und war aufgeregt zu Rackham gelaufen. Mit Händen und Füßen versuchte sie, sich verständlich zu machen, und deutete über die Reling. Rackham folgte ihrem Fingerzeig.
»Wenn diese Punkte sind, was ich denke, sind wir auf dem richtigen Weg.« Er fixierte das Steuer.
»Männer, alle zu mir! Unsere kleine Afrikanerin hat etwas entdeckt.« Die Schwermut der Piraten verflog auf einen Schlag. Euphorisch standen sie nebeneinander und suchten den Horizont ab. Rackham zählte die Punkte und rief. »Furzdonnerschlag! Es sind fünf! Wenn wir nur ein Quäntchen Glück haben, sind das die unbewohnten Inselchen, die vor New Providence liegen.« Hamilton schöpfte neue Hoffnung und sprach in Gedanken ein kurzes
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