Koenigin der Meere - Roman
einmal mehr dazu in der Lage und urinierten in die Ecken des Lagerraums.
Einige Tage zuvor hatte Jonathan Barnett eine Entdeckung gemacht, die sein Herz bis zum Hals schlagen ließ. Seit Tagen haderte der Kapitän der Harbinger mit seiner Entscheidung, die Piraten auf Jamaika zu suchen. Was, wenn Morry sich irrte und die Banditen doch einen anderen Kurs gewählt hatten? Auf der anderen Seite musste er zugeben, dass die Argumente seines Ersten Maates von bestechender Logik waren und Glenn Morry sich seit jeher als gewiefter Stratege erwiesen hatte. Barnett stand am Bug und suchte den Horizont mit dem Fernstecher ab. Weit und breit nichts als Wasser, ruhiges, blaues, klares Wasser. Hier und da eine Gruppe von Tümmlern, die in die Luft sprangen, aber keine Spur von einem anderen Schiff, geschweige denn, von dem Schiff, das er jagte. Barnett setzte enttäuscht den Fernstecher ab und ließ die Arme sinken. Sein Blick fiel auf ein Stück Treibholz, das die Wogen vor sich hertrieben. Es war ein ungewöhnlich großes Stück Holz. Barnett fokussierte und erkannte, dass es sich um den Teil einer besonders edel gearbeiteten Reling handelte. Er beugte sich vor. Und da sah er es. Direkt vor dem Bug der Harbinger schwamm ein rußiger Balken, der mit goldgeschwungenen Lettern beschriftet war. »… yal Que …«, entzifferte der Kapitän und sein Puls raste.
»Mr. Morry! Mr. Morry! Hierher, aber schnell!«, rief er mit vor Aufregung kippender Stimme. Morry beeilte sich, dem Befehl seines Vorgesetzten zu folgen. Barnett deutete über die Reling.
»Da, schauen Sie! Was sehen Sie, und was lesen Sie?«
Morry sah das Holz und rieb sich die Hände.
»Ich habe es gewusst! Sie sind nicht weit. Sir, nicht mehr lange, und wir haben sie!« Barnett sah ihn verwundert an und schnarrte: »Sie sehen, was ich sehe. Das ist ein Stück der Royal Queen , aber Sie ziehen einen völlig anderen Schluss daraus als ich. Wie kommen Sie darauf,
dass Rackham und seine Leute noch leben, wenn das Schiff doch augenscheinlich untergegangen ist?« Morry schüttelte vehement den Kopf und entgegnete im Brustton der Überzeugung.
»Sir, mit Verlaub, die Royal Queen ist wohl untergegangen, aber die Männer sind es nicht. Darauf verwette ich meine gesamte Heuer. Wenn Sie mich fragen, hat sich Rackham ein anderes Schiff geschnappt, ein kleineres, schnelleres, und die Royal Queen hat er versenkt, damit wir ihm nicht auf die Spur kommen.« Er grinste. »Aber Holz schwimmt nun mal oben. Und so hat Mr. Neunmalklug genau das getan, was er vermeiden wollte, er hat uns eine saubere Spur hinterlassen.«
»Was schlagen Sie vor, Mr. Morry?« Barnett fand auch diesen Gedankengang seines Ersten Maates bestechend.
»Kurs halten, Sir, unbeirrt Kurs halten und dann die Buchten rund um die Insel abklappern.«
Bei Anbruch der Dunkelheit wunderten sich Anne und Mary, dass niemand an Land kam. Wieder hatten sie erfolgreich gejagt, und wieder duftete das Fleisch an den Spießen verlockend.
»Sie müssen doch sehen, dass wir hier längst Feuer gemacht haben. Es kann doch gar nicht sein, dass sie keinen Hunger haben.« Tucker, der ahnte, was die Ursache für das merkwürdige Verhalten der Piraten sein könnte, traute sich nicht, mit der Sprache herauszurücken. Stattdessen sagte er: »Vielleicht sollte mal jemand nachschauen, was los ist, und sagen, dass es hier etwas zu essen gibt.« Anne lachte laut auf.
»Sehr gute Idee, Tucker, aber du bleibst lieber hier. Wer weiß, was sonst passiert, nachher ertrinkt die ganze Mannschaft, wenn du wieder von Bord gehst.« Tucker zuckte zusammen und wurde puterrot. John Howell und Patrick Carry bestiegen ein Ruderboot. Vom Strand aus konnte Anne sehen, wie sie die Jakobsleiter hinaufkletterten und sich über die Reling schwangen. Dann verschwanden die beiden und kehrten nicht zurück.
Anne, Mary und die restlichen Männer ließen sich das Essen schmecken und blieben so lange am Strand, bis Moskitos und Müdigkeit ihnen signalisierten, dass es Zeit war, zurück zur Dragon zu rudern.
Sie hatten das Schiff noch nicht erreicht, da drang verräterischer Lärm an ihre Ohren. Grölen, Musik, Gelächter, die Stimmung auf der
Dragon schien hervorragend zu sein. Anne betrat das Deck als Erste und hörte sofort, dass die Geräusche von unten kamen. Sie ging die Treppe hinunter und fand ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Überall standen offene Schnapsfässer herum. Carry kratzte unbeholfen auf seiner Fidel, Rackham und Dobbins
Weitere Kostenlose Bücher