Koenigin der Meere - Roman
bratenden Fleisches erfüllt. Die Sonne versank, die Dämmerung brach an, und mit ihr kamen unzählige Schwärme böse surrender Insekten. Eines von ihnen stach Fetherston in die Wange, die sofort dick anschwoll. Die Männer beeilten sich, rings um ihren Lagerplatz einen Kreis aus vielen kleinen Feuern zu bilden. Sie fütterten die Flammen mit Gräsern und Palmblättern. Der Qualm biss in Augen und Nase, erfüllte aber seinen Zweck und vertrieb die angriffslustigen Stechmücken. Anne erinnerte sich, dass Bojo im Sommer immer eine übel riechende Paste aus Zitronen und Fett zubereitet hatte, mit der er seine Kinder von Kopf bis Fuß einrieb, um so die Schnaken fernzuhalten. Unter den gerösteten Schweineschwarten sollte sich genug Fett finden, um einen ähnlichen Schutz anzurühren. Ihr grauste schon jetzt vor dem Gestank, doch ohne diese Maßnahme würden sie es keine zwei Tage in der Negril-Bucht aushalten.
Noch bevor das Fleisch gar war, hatten die Piraten die mitgebrachten Weinfässer geleert. Bester Stimmung gestattete Richard Corner,
dass Rosebud und sein Küchenjunge mit dem Beiboot Nachschub von der Dragon holten.
Anne saß neben Calico, der bis dahin nur frisches Flusswasser getrunken hatte. Sie sah ihn zärtlich an.
»Einen wunderbaren Platz hast du für uns ausgesucht. Hier findet uns Barnett bestimmt nicht. Und wenn alles vorbei ist, werden wir ein herrliches Leben miteinander führen.«
Mit ihren Laternen gingen Rosebud und Tucker unter Deck, um den Wein zu holen. Der Koch hatte dem Alkohol bereits kräftig zugesprochen, schickte Tucker mit dem ersten Fass nach oben und vergaß seine übliche Vorsicht. Ohne auf die Schritte des Küchenjungen zu achten, zerrte er ein Fässchen mit Arrak aus dem Versteck und trank mit gierigen Schlucken. Als Tucker die Treppe wieder herunterkam, kehrte Rosebud ihm den Rücken zu und bemerkte ihn nicht. Der Junge beobachtete ihn arg wöhnisch.
»Was trinkst du da? Das riecht gut. Darf ich probieren?« Der Smutje zuckte zusammen. Wütend drehte er sich um.
»Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlierst, bringe ich dich um, hast du verstanden?« Tucker nickte erschrocken. Rosebud winkte ihn näher.
»Komm her. Ich gebe dir einen Schluck ab. Aber noch mal: kein Wort zu den anderen!« Tucker schwor beim Leben seiner Mutter, die seit Jahren verstorben war, niemand etwas zu verraten, und setzte sich neben den Koch. Gemeinsam genossen sie den köstlichen Schnaps.
Wenig später war Rosebud so betrunken, dass er sich weigerte, wieder zurück an Land zu rudern. Nachdem alle seine Überredungsversuche gescheitert waren, belud Tucker das Beiboot und paddelte zum Strand. Anne bemerkte als Erste, dass der Koch nicht mitgekommen war, und nahm Tucker beiseite.
»Wo hast du denn Rosebud gelassen?« Der Küchenjunge senkte den Blick und suchte nach einer Lüge möglichst nah an der Wahrheit: »Er fühlte sich nicht wohl, ist unter Deck und wird wohl jetzt schon schlafen.« Anne gab sich zufrieden.
Nach einem ausgiebigen Festmahl und noch ausgiebigerem Gelage kehrten die Männer zu den Schiffen zurück, um in den Hängematten ihren Rausch auszuschlafen.
Grölend kletterten sie steuerbord die Jakobsleitern hinauf und fluchten, wenn sie die Sprossen verfehlten und wieder herunterrutschten. Niemand bemerkte den Toten, der backbord mit dem Gesicht im Wasser trieb.
Mary und Anne entdeckten ihn, als sie am nächsten Morgen in aller Frühe an Land ruderten, um, von den Männern ungesehen, ein Bad im Fluss zu nehmen und ihre Kleidung zu waschen.
Die Wellen hatten Rosebud an den Strand getrieben. Mit ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen lag er auf dem Sand. Mary hielt sich die Hand vor den Mund, als sie den aufgedunsenen Körper auf den Rücken drehten, und auch Anne spürte ein flaues Gefühl im Magen. Sie beugte sich über den Leichnam.
»Das kann nur Tucker gewesen sein. Aber warum sollte er Rosebud umbringen? Die beiden haben sich doch immer hervorragend verstanden. Komm, hilf mir, wir müssen ihn aus dem Wasser ziehen.«
Gemeinsam zerrten sie den schweren Mann auf den trockenen Sand. Mit einem gurgelnden Stöhnen gab Rosebud einen Schwall Wasser von sich. Anne würgte.
»Bonny, was ist denn mit dir los?« Mary sah sie erstaunt an und grinste. »Du bist doch sonst nicht so empfindlich. Du wirst doch nicht …?« Anne machte eine abwehrende Handbewegung.
»Das fehlte noch! Nein, schwanger bist hier nur du - hoffe ich wenigstens.« Sie ließen Rosebud auf dem
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