Koenigin der Meere - Roman
Schluck roch nach Krankheit und Verderben. Das zwiebackähnliche Brot war knochenhart und wimmelte von Maden und Ungeziefer. Wer dennoch einen Bissen nehmen wollte, tat gut daran, das trockene Gebäck erst auf die Planken zu klopfen, um auf diese Weise zumindest einen Teil der Parasiten loszuwerden.
Unteroffizier James Brady sah angeekelt auf die Maden, die sich fett und weiß auf dem Boden wanden.
»Ich lasse mir diesen Fraß nicht länger gefallen. Nur weil der Kapitän es nicht abwarten kann, diesen Rackham endlich zu erwischen, lässt er uns nicht an Land, gönnt uns keine Pausen und nimmt sich nicht einmal die Zeit, für frischen Proviant zu sorgen. Dabei hat er den Beutel voll Gold und könnte kaufen, was das Herz begehrt.« Seine Kameraden murmelten Zustimmung. Glenn Morry hatte Bradys Worte gehört und nahm ihn zur Seite.
»Brady, sieh dich vor. Wenn du die Leute zu einer Meuterei anstachelst, bin ich gezwungen, es dem Kapitän zu melden. Du weißt, dass er nicht zimperlich ist. Also halt deinen Mund!«
Brady entgegnete zornig: »Bei allem Respekt, ich kann meinen Mund nicht länger halten. Wir haben alle Hunger und sind müde. Was machen ein paar Tage schon aus. Wenn Rackham sich wirklich hier in der Gegend aufhält, werden wir ihn früher oder später erwischen. Und wenn es zu einem Kampf kommt, brauchen wir Kräfte, die wir längst nicht mehr haben.« Morry erkannte, dass der Unteroffizier die Mannschaft auf seiner Seite hatte. Die Männer waren im Recht, daran bestand kein Zweifel, aber seine Position und Loyalität zwangen ihn, Barnett den Vorfall zu melden.
Die buschigen Augenbrauen des Kapitäns zogen sich wütend zusammen.
»Was will er? Essen und frisches Wasser? Wasser kann er gleich haben! Mehr als ihm lieb ist!« Morry zuckte zusammen.
»Mr. Barnett, tun Sie das nicht. Die Männer sind Ihnen treu ergeben, wenn Sie Brady jetzt kielholen lassen, bringen Sie sie unnötig auf.« Aber der Kapitän ließ sich nicht umstimmen. Er schlug mit der Peitsche auf die Planken und brüllte: »Noch bin ich der Kommandant dieses Schiffs, und solange sich daran nichts ändert, wird getan, was ich für richtig halte!« Er hustete und fügte scharf hinzu: »Mr. Morry, bereiten Sie alles vor.«
Das Kielholen war eine grausame Strafe, besonders beliebt auf britischen und niederländischen Schiffen. Morry hatte keine Wahl. Ein starkes Tau wurde von der Nock der Großrah unter dem Schiff bis zur gegenüberliegenden Rahnock geführt. Von zwei Männern festgehalten stand James Brady mit bloßem Oberkörper an Deck und leistete heftige Gegenwehr. Doch die Männer waren stärker und fesselten seine Füße mit dem Tau. Damit er bei der Prozedur nicht ertrank, wurden ihm Mund und Nase mit Fett zugeschmiert.
»Hoch mit ihm!«, schrie Barnett, und der Knall seiner Peitsche durchschnitt die Luft. Brady hing einige Sekunden kopfüber an der Rahe, dann ließen ihn die Männer hinab und zogen ihn unter dem Rumpf des Schiffes hindurch.
»Strammer! Ihr Halunken, oder meint ihr, ich sehe nicht, was ihr vorhabt?« Die Matrosen gehorchten. Je strammer das Tau gezogen wurde, umso dichter schrammte der Körper am Unterschiff entlang. Die festgewachsenen Muscheln schnitten in sein Fleisch und hinterließen schmerzhafte Verletzungen.
James Brady musste die Tortur dreimal über sich ergehen lassen, bis Barnett sein Mütchen gekühlt hatte und dem Schiffsarzt erlaubte, sich des schwerverletzten Unteroffiziers anzunehmen. Mehr tot als lebendig wurde er unter Deck getragen. Barnett hatte sein Ziel erreicht. Die brutale Demonstration seiner Macht hatte den aufkeimenden Widerstand gebrochen.
»Noch jemand, der mit irgendetwas nicht einverstanden ist?«, blaffte er kampflustig in die Runde. Die Besatzung schwieg betreten.
»Dann ab an eure Arbeit. Wir haben ohnehin schon viel zu viel Zeit vergeudet. Und weil das so ist, werde ich den Landgang, den ich
euch in Montego Bay gestatten wollte, streichen!« Mit gesenkten Köpfen verzogen sich die Matrosen auf ihre Plätze. In ihren Augen loderte blanker Hass.
Jonathan Barnett sah seinen Ersten Maat triumphierend an.
»So führt man ein Schiff, Mr. Morry. Das ist die einzige Sprache, die diese Kerle verstehen. Mit Verständnis und Rücksicht kommt man nicht weiter.« Glenn Morry schwieg.
Die Harbinger hielt Kurs. In Montego Bay blieb Barnett zwar bei seiner Entscheidung, die Männer nicht von Bord zu lassen, besorgte aber Fässer mit frischem Trinkwasser sowie ausreichend Fleisch, Bohnen
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