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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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überwinden konnte. Doch wie sie es auch drehte und wendete, Hamiltons Plan war
der einzig gangbare Weg, ihr Leben zu retten. Mit eiskalten Fingern zog sie der Toten Hemd und Hose vom Leib. Dann entledigte sie sich ihrer Kluft und versuchte den Beutel, den sie von innen in ihrer Hose festgeknotet hatte, vom Lederband zu lösen. Der Riemen war so verzurrt, dass es ihr in der Dunkelheit nicht gelang, den Knoten zu öffnen. Sie biss das Band ab und band sich das Säckchen um den Hals.
    Mary war um einiges größer und kräftiger gewesen. Anne konnte die Hose mühelos über ihrem Bauch schließen. Sie drehte ihre Haare zu einem Knoten zusammen und verbarg sie unter Marys breitem Schlapphut. Der Verstorbenen band sie ihr eigenes Kopftuch um.
    Dunkelheit und Anspannung nahmen ihr jegliches Zeitgefühl. Anne erschrak, als sie Schritte vor der Tür hörte, und bemühte sich hastig, Mary wieder anzukleiden. Sie schwitzte vor Anstrengung, denn ihre Sachen waren zu klein, und der leblose Körper schien sich gegen jede ihrer Bemühungen zu wehren. Mit letzter Kraft zerrte sie den Leichnam in die hinterste Ecke der Zelle und drehte Mary mit dem Gesicht zur Wand. Wenn er die Tür öffnete, musste der Wärter den Eindruck bekommen, sie schliefe. Dann legte sie sich auf den Boden und suchte nach einer Position, die sie möglichst lange ertragen konnte, ohne sich bewegen zu müssen. Sie schloss die Augen und versuchte, Hamiltons Aufforderung nachzukommen und sich wie ein Sack Mehl zu fühlen.
    Im Gang herrschte wieder Stille. Anne konzentrierte sich. Eine Weile gelang es ihr gut, ganz still zu liegen, doch dann krabbelte etwas ihr rechtes Bein entlang. Anne ignorierte das Kitzeln, doch das Insekt war stärker, und schließlich musste sie sich kratzen. Voller Sorge dachte sie darüber nach, was sie tun sollte, wenn so etwas in Anwesenheit der Wachleute geschah. Wieder lag sie stocksteif auf dem Rücken. Eine Ratte huschte über ihren Arm. Anne bewegte sich nicht. Dann begann ihre Nase zu jucken. Erst nur ein wenig, dann immer stärker, Anne nahm all ihre Konzentration zusammen, aber das Niesen ließ sich nicht unterdrücken. Verzweifelt setzte sie sich auf und schlug mit den Fäusten auf ihre Oberschenkel.
    »Es muss gehen! Es muss einfach gehen! Anne Bonny! Nimm dich zusammen, sonst landest du am Galgen!«, flüsterte sie beschwörend und legte sich wieder hin.

    Im Licht der ersten Sonnenstrahlen rumpelte ein einfacher aus Brettern gezimmerter Karren in den Gefängnishof. Es war Hamilton nicht schwergefallen, den Leichenbestatter mit Rum und einem Achterstück zu überreden, ihm seinen Wagen für ein paar Stunden zu borgen. Jubilo brachte die alte Mähre zum Stehen und blieb auf dem Kutschbock sitzen, während der Arzt den Wachmännern das Dokument des Gouverneurs zeigte. Grüßend ließen sie ihn passieren.
    Ben Hamilton hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und sich am Morgen nicht einmal die Zeit für eine Rasur genommen. Durch die grauen Bartstoppeln wirkte sein Gesicht falb und müde. Die Augen waren von dunklen Schatten umrahmt. Er stieg die enge Treppe hinunter und wünschte dem Wachposten einen guten Morgen.
    »Ich komme, um den Leichnam von Mary Read zu holen. Sie ist gestern bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Bedauerlicherweise hat mich der Leichenbestatter im Stich gelassen. Er war so betrunken, dass ich nur seinen Wagen genommen habe. Wenn Er also so freundlich sein will und einen Kameraden herholt und die Tote mit ihm in den Hof bringt. Um den Rest kümmere ich mich dann.« Der Soldat sah ihn verwirrt an.
    »Leichen zu tragen, gehört nicht zu meinen Aufgaben, Sir. Ich darf meinen Posten nicht verlassen.« Hamilton nickte.
    »Ich weiß, aber es ist alles mit dem Gouverneur abgesprochen.« Wissend, dass er nur einen flüchtigen Blick darauf werfen würde, hielt er dem Mann Lawes Genehmigung unter die Nase und klaubte einen Achter aus der Hosentasche. Der Anblick der Münze wirkte Wunder. Ohne ein weiteres Wort erhob sich der Wachmann von seinem Schemel und kehrte bald darauf mit einem weiteren Soldaten zurück. Quietschend öffneten sich die Riegel.
    »Wir müssen leise sein. Ich bin so früh gekommen, in der Hoffnung, dass die zweite Gefangene noch schläft und uns keine Szene macht.« Hamilton sah die beiden Männer verschwörerisch an. Sie folgten ihm auf Zehenspitzen in die Zelle.
    Anne lag in der Mitte des Verlieses auf dem Boden. Hamilton bekreuzigte sich und bedeutete den Männern, sie aufzunehmen. Schweiß

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