Koenigin der Meere - Roman
führen und gesellschaftlich zu repräsentieren. Dazu gehören Disziplinen wie Tanzen, Handarbeiten, Musizieren und Zeichnen ebenso wie Grundkenntnisse in gepflegter Konversation. Diese Stunden leite ich. Mein Name ist Miss Maddles.« Mit diesen Worten beendete Miss Maddles ihren Vortrag, drehte sich um und ging mit schnellen Schritten in das Gebäude. Anne folgte ihr und fragte sich, was ihr Vater wohl bei der Anmeldung über sie gesagt haben mochte, dass Miss Maddles solch ein herrisches Gebaren an den Tag legte.
William Cormac hatte kaum über Anne gesprochen, sondern nur erzählt, dass er geschäftlich sehr viel unterwegs sei und seine Frau kränkelte und sich deshalb oft nicht im gebotenen Maß um Anne kümmern könne.
Miss Maddles öffnete eine schmale Tür, trat ein und rief in den Raum: »Wir haben eine neue Schülerin, Anne Cormac. Heißt sie
willkommen!« Etwa zwanzig Mädchen erhoben sich, knicksten und riefen einstimmig: »Guten Morgen, Anne Cormac!« Dann setzten sie sich wieder. Vor der Klasse stand neben einem Pult aus dunklem Holz eine andere Frau, etwas jünger als die Erste, aber genauso streng frisiert und gekleidet. Sie hielt einen Stock in der rechten Hand, mit dem sie auf einen freien Platz in der ersten Reihe deutete.
»Anne Cormac, setz dich dorthin. Mein Name ist Miss Maddles, ich bin deine Lehrerin, wenn dir etwas unklar ist, darfst du die Hand heben, und wenn ich dich dazu auffordere, deine Frage vorbringen. Hast du das verstanden?« Anne sah irritiert von einer Miss Maddles zur anderen und kam zu dem Schluss, dass es sich um Schwestern handeln musste. Die Stimme der zweiten Miss Maddles schnarrte, und wenn sie sprach, tanzten kleine Speicheltröpfchen vor ihrem Mund.
Anne war entsetzt. Schon die erste halbe Stunde war ihr so zuwider, dass sie sich fest vornahm, hier keine Minute länger als notwendig zu bleiben. Diesen Tag würde sie durchhalten müssen, aber sie war sicher, dass ihr Vater, wenn sie am Abend erzählte, was sie erlebt hatte, einsah, dass dies keine Schule für sie war.
Während er Tillys gebratenen Fisch mit Gemüse und Reis aß, hörte William Cormac schweigend, was seine aufgebrachte Tochter berichtete.
»Daddy, bitte, liebster, bester Daddy, du kannst doch nicht wollen, dass ich mich jeden Tag von einer garstigen, schwarz gekleideten Krähe anschnarren und in der ersten Reihe vollspucken lasse. Es ist wirklich ekelhaft.« Anne wischte sich bei dem Gedanken an Miss Maddles feuchte Aussprache mit der Serviette über das Gesicht. Cormac legte Messer und Gabel zur Seite, nahm sein Weinglas in die Hand und betrachtete sinnierend den funkelnden Roten, den er vor zwei Tagen am Hafen erstanden hatte.
»Du weißt, dass du dir das alles selbst zuzuschreiben hast. Du hast deine kranke Mutter hinters Licht geführt, du hast mein Vertrauen missbraucht, deinetwegen muss Kabelo jetzt auf dem Feld arbeiten. Meine Antwort lautet nein! Du wirst morgen und alle folgenden Tage, bis die Ferien beginnen, eine folgsame Schülerin sein.« Anne sah ihren Vater fassungslos an. Seine Augen sagten ihr, dass es aussichtslos
war, weiter in ihn zu dringen. Sie stand auf, knickste übertrieben tief und bat, den Tisch verlassen zu dürfen. Wütend stürmte sie in ihr Zimmer, warf sich auf das Bett und schlug mit beiden Fäusten auf die Kissen.
Sie hörte nicht, dass sich die Tür leise öffnete, und zuckte zusammen, als eine kleine Hand ihr vorsichtig über den Rücken streichelte. Jubilo schaute sie aus seinen großen dunklen Augen an.
»Es wird alles wieder gut. Das sagt meine Mom immer, wenn ich traurig bin. Soll ich dir vormachen, wie Mr. Cormac geht?«, fragte er in der Hoffnung, sie damit aufzuheitern. Anne richtete sich auf und trocknete ihre Augen.
»Nein Jubilo, heute nicht, aber wenn du willst, mache ich dir vor, was für eine furchtbare Frau meine neue Lehrerin ist.« Jubilo kletterte auf das Bett und sah sie erwartungsvoll an. Er lauschte Annes Worten und unterbrach sie nur einmal voller Mitgefühl.
»Aber was macht man denn den ganzen Tag, wenn man nicht sprechen oder singen oder pfeifen darf?«
»Ja eben! Das ist es ja! Verstehst du, dass ich da nicht bleiben kann?« Jubilo dachte angestrengt nach.
»Du musst einen Plan machen. Meine Mom sagt immer, wenn man etwas erreichen will, muss man einen Plan machen.«
Bis in die frühen Morgenstunden wälzte Anne sich schlaflos in ihrem Bett. Als Phibbah kam, um ihr beim Ankleiden behilflich zu sein, hatte sie einen Entschluss
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