Koenigin der Meere - Roman
nicht.
»Zum Tee, bei Lorna Mary. Und auf dem Rückweg hast du dich nicht nur verirrt, sondern dich auch so verausgabt, dass du seit über fünf Minuten damit beschäftigt bist, dich auf offener Straße wieder in einen passablen Zustand zu bringen?« Cormacs Tonfall verhieß nichts Gutes.
Eine Stunde später brach Anne im Arbeitszimmer unter seinen inquisitorischen Fragen zusammen und gestand unter Tränen, wo sie den Nachmittag verbracht hatte. Cormacs Wut war grenzenlos. Nach einem Tobsuchtsanfall, wie ihn weder Anne noch ihre Mutter jemals erlebt hatten, wurde sein Blick von einer Sekunde zur anderen starr und eiskalt.
»Da du mit guten Worten nicht zu bändigen bist, werde ich dich morgen höchstpersönlich zu den Englischen Fräulein bringen. Ich bin sicher, dass die sogar dir vermitteln werden, wie sich eine angehende junge Dame zu benehmen hat. Was hast du dir nur dabei gedacht. Du ahnst ja nicht einmal, welchen Gefahren du dich ausgesetzt hast, ganz
zu schweigen, was du dem armen Kabelo mit deinem Verhalten eingebrockt hast.« Anne zuckte zusammen. Wie ein Blitz durchfuhr sie der Gedanke an Kabelo und die Konsequenzen, die ihr Vater angedroht hatte, wenn er nicht auf sie aufpasste. Wie hatte sie das nur vergessen können. Sie schluchzte auf.
»Bitte, Vater lass ihn nicht auspeitschen. Er konnte doch nichts dafür, ich habe ihn doch genau so belogen wie euch.«
»Du kommst zu den Englischen Fräulein, und Kabelo wird auf der Plantage auf dem Feld arbeiten«, verfügte ihr Vater.
-9-
C ormac brachte Kabelo persönlich zur Plantage. Den Kopf tief gesenkt, die Schultern traurig nach vorne gebeugt, saß der Sklave im Kanu.
Cormac bedauerte seine Entscheidung, hatte sogar kurz erwogen, die drakonische Strafe zu mildern, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass seine Tochter nur mit Konsequenz zur Räson zu bringen war.
»Es wird schon nicht so schlimm werden, ich sage dem Aufseher, dass ich immer sehr zufrieden mit dir war, und du wirst deine Arbeit auch auf dem Feld gut und gewissenhaft verrichten. Vielleicht kann ich dich ja irgendwann selbst zum Aufseher machen«, versuchte er sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Kabelo nickte demütig. Schlimmer als die bevorstehende Arbeit schmerzte ihn die Enttäuschung. Wie war es möglich, dass dieses Mädchen, das er liebte wie ein eigenes Kind, ihn so verraten konnte.
Es war ein milder Montagmorgen, als Phibbah Anne zum ersten Mal zu den Englischen Fräulein begleitete. Margaret hütete mit hohem Fieber und Kopfschmerzen das Bett und war nicht in der Lage, sich von ihrer Tochter zu verabschieden. Den ganzen Weg durch die Stadt hüllte sich Anne in brütendes Schweigen. Sie hasste ihre Eltern für das, was sie ihr antaten, und ganz besonders hasste sie ihren Vater dafür, dass er Kabelo fortgebracht hatte. Der einzige Lichtblick in dieser schrecklichen Angelegenheit war die Tatsache, dass es nur ein paar Wochen dauern würde, bis die Familie wieder auf die Plantage zog.
Die Englischen Fräulein schlossen die Schule während der heißen
Sommermonate. Anne war sicher, dass ihr Vater Kabelo wieder vom Feld holen und alles wie früher werden würde.
Am schweren Tor der Schule stand eine hagere, ältliche Frau mit grauen, zu einem strengen Knoten frisierten Haaren. Ihre spitze Nase erinnerte Anne an den Schnabel eines Vogels, die langen, mageren Finger sahen aus wie Klauen mit langen, gefährlichen Krallen. Eine Krähe, dachte Anne. Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet und begrüßte Anne mit einem knappen Nicken. Eingeschüchtert von so viel Strenge, wagte Phibbah nicht, sich von Anne zu verabschieden. Die Frau winkte Anne zu sich und musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Anne Cormac, nehme ich an.« Anne knickste und setzte zu einer höflichen Antwort an, doch die Frau bedeutete ihr mit einer gebieterischen Handbewegung zu schweigen und fuhr fort: »Die Regeln in diesem Haus sind einfach, und wenn du sie befolgst, wirst du hier viel lernen und hast keine Strafen zu erwarten. Hör gut zu, was ich dir jetzt sage, denn ich sage es nur einmal. Der Unterricht beginnt am Morgen und endet mittags mit einem gemeinsamen Essen im Speisesaal. Während der Mahlzeit wird aus der Bibel vorgelesen. Wir dulden kein Geschwätz. Du bist hier, um zuzuhören, nicht um dich zu amüsieren. Die Schülerinnen sprechen nur, wenn sie etwas gefragt werden. Am Nachmittag werdet ihr in den Pflichten und Tugenden unterwiesen, die euch befähigen, eines Tages einen eigenen Haushalt zu
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