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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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gefasst. Wenn ihr Vater ihr nicht erlaubte, dieses grässliche Haus zu verlassen, würde sie eben dafür sorgen, dass man sie dort nicht behielt. Die einzige noch ungeklärte Frage war, ob sie sofort damit beginnen oder noch ein paar Tage warten sollte. Auf dem Weg zur Schule entschied sie, den schwarzen Krähen genau eine Woche zu geben.
    Der Zeitplan erwies sich bereits zwei Stunden später als untauglich. Als Miss Maddles ihren Worten mit einigen Stockschlägen auf das Pult Nachdruck verleihen wollte, zerbrach der Rohrstock, und Anne lachte laut auf. Das ungehörige Verhalten trug ihr einen Vormittag in der Ecke mit dem Gesicht zur Wand des Klassenzimmers ein. Anne war außer sich. Am nächsten Morgen passte sie Miss Maddles auf dem Gang ab und machte einen tiefen Knicks.

    »Was ist?«, schnarrte die Lehrerin. Anne hielt respektvoll den Kopf gesenkt.
    »Miss Maddles, verzeihen Sie vielmals, dass ich Sie störe, aber meine Mutter hat heute Nacht einen heftigen Fieberanfall gehabt. Mein Vater ist nicht in der Stadt, und der Arzt hat gesagt, dass ich bei ihr bleiben soll, bis er zurückkommt.« Mit ihren knochigen Fingern hob Miss Maddles Annes Kinn und sah ihr skeptisch in die Augen.
    »So, so, einen Fieberanfall. Und was hat der Doktor unternommen, um die Beschwerden deiner Mutter zu lindern?« Anne erwiderte den Blick.
    »Er hat sie zur Ader gelassen und ihr einen Sud aus gekochter Baumrinde und Kräutern verordnet. Außerdem müssen ihre Stirn und ihre Beine mit kalten, feuchten Tüchern gekühlt werden, bis das Fieber wieder sinkt, und das soll ich tun.« Miss Maddles zögerte kurz, doch die Antwort des Mädchens klang so fest und sicher, dass sie entschied, Anne gehen zu lassen.
    »Wann wird dein Vater wiederkommen?«, fragte sie.
    »Nächste Woche soll er zurück sein.« Anne, die auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen war, ärgerte sich im selben Moment, dass sie nicht zwei Wochen gesagt hatte.
    Ab sofort stand Anne jeden Morgen früher als gewöhnlich auf, zog sich an und saß bereits am Frühstückstisch, wenn ihre Eltern den Raum betraten. Gut gelaunt und höflich plaudernd trank sie ihren Tee, verabschiedete sich von beiden mit einem Kuss und ließ sich von Phibbah zur Schule begleiten.
    »Du brauchst nicht bis zum Tor mitzukommen, ich kenne den Weg. Du hast so viel zu tun, und außerdem wartet Jubilo auf dich.« Kaum hatte Phibbah ihr den Rücken zugekehrt, verschwand Anne hinter einer dichten Jasminhecke. Dort streifte sie ihr Kleid ab, zog Strümpfe und Schuhe aus und verstaute alles sorgfältig in einem kleinen Leinenbeutel, den sie tief unter die Blätter der Hecke schob.
    Wild und frei fühlte sie sich in ihrer weichen Lederhose und dem weiten Hemd. Zu Hause hatten sie nichts gemerkt. Anne verbarg ihre Haare unter dem roten Kopftuch, das sie bei ihrem ersten verbotenen Ausflug gefunden hatte, und machte sich auf den Weg zum Hafen. Diesmal passte sie gut auf, dass ihr Vater sie nicht entdeckte.

    Etwas entfernt von den Lager- und Abrechnungshäusern, dem Auktionsplatz und den kleinen Gassen, in denen sich die Tavernen und Bordelle befanden, tummelten sich Banden von heimatlosen Kindern und Halbwüchsigen, die dem Herrgott den Tag und achtlosen Passanten das Geld stahlen. Eine Weile hielt sich Anne abseits von ihnen und beobachtete sie.
    Dann besorgte sie sich einige passende Stöcke, stibitzte ein Stück Tau und begann, Pfeil und Bogen herzustellen, so wie sie es von Bojo gelernt hatte. Es dauerte nicht lange, und zwei Jungen, etwas älter als sie, standen vor ihr.
    »He, Kleiner, was machst du denn da?« Anne freute sich, dass sie nicht als Mädchen erkannt wurde, gab sich hochkonzentriert und reagierte erst, als die Jungen sich neben sie setzten.
    »Woher kannst du das«, fragte der Anführer und stellte sich als James vor. James war zwei Köpfe größer als Anne, hatte blaue Augen, und unter der geraden Nase sprossen die ersten Bartstoppeln. Das sandblonde Haar trug er zu einem lockeren Zopf gebunden, sein Oberkörper war gebräunt und drahtig, um die Taille hatte er einen geflochtenen Ledergürtel geschlungen, in dem ein blitzendes Messer steckte.
    »Hab ich bei den Indianern gelernt«, gab Anne so gelassen wie möglich zurück. James hockte sich neben sie, sah sie von der Seite an und strich mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand verlegen über seinen Nasenrücken
    »Hab dich noch nie hier gesehen.« Anne zuckte die Achseln.
    »Bin noch nicht lange in der Gegend«, versuchte sie seinen

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