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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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Ton zu treffen.
    Als sie am nächsten Tag zum Hafen kam, warteten James und seine Bande bereits auf sie. Ausgestattet mit Stöcken und Seilen ließen sie sich zeigen, wie man einen Indianerbogen fertigte. Anne war stolz und glücklich. Während sie kerbten und schnitzten, erzählte James, dass er auf einem Kaperfahrer angeheuert hatte und in einigen Tagen seine erste Fahrt antreten würde.
    »Mein Vater wollte, dass ich zur Marine gehe, aber ich bin doch nicht verrückt. Auf den Marineschiffen hast du nichts als ein hartes Leben, schlechtes Essen und wenig Lohn. Ich will reich werden, und
das wird man nur als Kaperfahrer.« Er strich wieder mit zwei Fingern über seinen Nasenrücken. »Also bin ich von zu Hause abgehauen, und nächste Woche geht’s los.« Anne warf ihm einen bewundernden Blick zu. Was für ein toller Kerl, dieser James, lief einfach von zu Hause weg und machte, was er wollte. Beneidenswert.
    Kurz nach Mittag, Anne war gerade mit dem Schnitzen einer Pfeilspitze beschäftigt, sah sie ihren Vater zum Lagerhaus reiten. Mit einem kurzen Gruß verabschiedete sie sich von ihren neuen Freunden und verschwand so schnell sie ihre Beine trugen. James sah ihr verwundert nach.
    »Komischer kleiner Kauz«, sagte er zu seinen Kameraden, »passt irgendwie überhaupt nicht hierher und irgendwie doch.«
    Er hatte erfolgreiche Geschäfte getätigt, und so kam William Cormac am Abend bester Laune nach Hause. Margaret hatte sich ein wenig erholt und nahm seit Wochen zum ersten Mal wieder an einem gemeinsamen Diner teil. Tilly überbot sich selbst, und Cormac genoss jeden Bissen der vorzüglichen Mahlzeit. Vergnügt sah er seine Tochter an.
    »Anne, deine Mutter und ich haben den Eindruck, dass du dich bei den Englischen Fräuleins gut eingelebt hast. So höflich und fröhlich wie in den letzten Tagen haben wie dich schon lange nicht mehr erlebt. Wenn dieser Zustand bis zu den Ferien anhält, werde ich zur Belohnung, wenn wir auf der Plantage sind, Kabelo von den Feldern wieder zurückholen. Sein Schicksal liegt also in deiner Hand.« Anne sprang vom Stuhl auf, umarmte ihren Vater und küsste ihn auf die Wange. Margaret sah ihren Mann dankbar an.
    Kabelos Zukunft hing von ihrem Verhalten ab, und Anne wollte alles tun, um wieder gutzumachen, was sie angerichtet hatte. Schweren Herzens verstaute sie Hemd, Hose und Kopftuch unter ihrer Matratze und nahm sich vor, die paar Wochen tapfer bei den schrecklichen Schwestern Maddles auszuhalten. Die Vormittage fielen ihr leichter als gedacht. Der Lehrstoff war einfach, vieles hatte Anne schon bei Mr. Fidget gelernt. Die jüngere Miss Maddles war sehr zufrieden mit ihrer neuen Schülerin. Anders die Nachmittage. Die Stunden nach dem Mittagessen waren entsetzlich. Eigentlich begannen die Qualen schon während der Mahlzeit. Annes Haltung genügte den Ansprüchen
der strengen Benimmlehrerin so wenig, dass sie sie zwang, unter jeden Arm ein Buch zu klemmen.
    »Damit du lernst, die Arme am Körper zu halten und dein Essen nicht in den Mund schaufelst wie ein Fuhrknecht.« Eine Woche später hielt Anne die Ellbogen so, als wären sie an ihrer Taille angewachsen; doch jetzt fand Miss Maddles, dass der Rücken nicht gerade genug war. Anne musste ein Buch auf dem Kopf balancieren.
    »Das wird dich lehren, deinen Oberkörper nicht über den Teller zu beugen«, sagte die ältere Miss Maddles spitz. Sosehr sich Anne anstrengte, die Lehrerin war nicht zufriedenzustellen. Jede ihrer Handarbeiten musste sie mindestens dreimal beginnen, und wenn sie sang, hielt sich Miss Maddles die Ohren zu. Aber am schlimmsten waren die Stunden, in denen Eleganz und Anmut auf dem Plan standen. Bei dem bloßen Gedanken daran bekam Anne Schweißausbrüche.
    »Anne Cormac!« Miss Maddles Stimme gellte durch den Raum. »Wie willst du dich jemals in einem vornehmen Kleid mit Reifrock bewegen, wenn du es nicht einmal schaffst, ein paar ganz normale Schritte zu tun. Komm hierher zu mir und sieh genau hin. So will ich es haben.« Miss Maddles spreizte die Hände und bewegte sich auf Zehenspitzen.
    »Du stapfst wie ein plattfüßiger Neger über den Boden.« Die Klasse kicherte leise. »Ich will Grazie sehen! Du musst schweben, Kind, schweben, als hättest du rohe Eier unter deinen Füßen. So wie ich.« Sie tänzelte durch den Raum. Anne war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Kabelo! Wenn du wüsstest, was ich deinetwegen durchmachen muss, schoss ihr durch den Kopf; dann biss sie die

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