Koenigin der Meere - Roman
Preis, dass sie nicht so bald erfahren würde, welchem Zweck das Ritual diente, schien es ihr klüger zu schweigen.
Ein paar Nächte später war ihre Neugierde so groß, dass sie erneut Hemd und Hose überstreifte und zu den Hütten der Sklaven aufbrach. Auf Zehenspitzen schlich sie durch die Siedlung, stets daraufbedacht, dass keiner der patrouillierenden Aufseher sie erwischte.
Aus Phibbahs Hütte drang ein sanfter Lichtschein. Anne spähte durch das kleine Seitenfenster und sah Jubilo. Er lag auf einem Lattenrost, der mit einer dünnen Decke als Bett diente. Phibbah saß über eine kleine Flamme gebeugt und erhitzte etwas in einem Kupfertöpfchen. Anne konnte sehen, wie sie die ölige Flüssigkeit in eine kleine Phiole goss und sorgfältig auf einem Regal abstellte.
Auch dieses Mal gelang es Anne, unbemerkt in ihr Zimmer zurückzukehren, doch ihre Neugierde war nicht befriedigt.
Margaret erlitt eine weitere Attacke des Fiebers, das sie noch immer in regelmäßigen Abständen quälte. Nächtelang saß Phibbah am Bett ihrer Herrin und versuchte, ihre Beschwerden zu lindern. Anne sehnte die Genesung ihrer Mutter aus höchst selbstsüchtigen Gründen herbei. Solange Margaret krank war, gab es keine Möglichkeit, aus dem Haus zu entwischen. Jederzeit konnte Phibbah aus dem Zimmer kommen, um frisches Wasser zu holen. Und auch ihr Vater schlief in diesen Nächten nicht ruhig und verließ von Zeit zu Zeit sein Zimmer, um nach seiner Frau zu sehen.
Nach einer Woche hatte Margaret das Schlimmste überstanden. Anne wartete darauf, dass auch das letzte Geräusch verstummte, dann schlüpfte sie aus der Tür und wollte eben das Haus verlassen, als sie aus dem Zimmer ihres Vaters heftiges Stöhnen vernahm. Sie huschte
über den Flur und legte ihr Ohr an die Tür. Es war eindeutig ihr Vater, der da stöhnte. Sie vernahm noch etwas anderes - ein leises, intensives Flüstern. Anne wagte nicht, die Tür zu öffnen, ihr Vater war nicht allein. Aber es war völlig ausgeschlossen, dass ihre Mutter bei ihm war.
Auf leisen Sohlen schlich Anne in den Garten zur Rückseite des Hauses. Die Fenster gingen beinahe bis zum Boden. Was Anne sah, verschlug ihr den Atem.
William Cormac lag auf dem Rücken in seinem Bett. Es war das erste Mal, dass Anne ihn splitterfasernackt sah, und es war überhaupt das erste Mal, dass sie einen Mann nackt sah. Befremdet von dem unerwarteten Anblick nahm sie erst nach ein paar Sekunden wahr, was sich vor ihren Augen abspielte. Ebenfalls ohne einen Fetzen Stoff am Leib kniete Phibbah mit gespreizten Schenkeln über Cormac und rieb seinen Körper von oben bis unten mit irgendetwas ein. Anne erkannte die kleine Phiole aus der Hütte. Ihr Vater genoss Phibbahs Massage ganz offensichtlich. Anne wandte sich erschrocken ab und schlich zurück in ihr Zimmer. Was sie gesehen hatte, brachte ihre Welt aus dem Gefüge.
In den folgenden Wochen musste sie erkennen, dass es sich bei dem, was sie beobachtet hatte, nicht um eine einmalige Begegnung handelte. Offenbar trafen sich ihr Vater und Phibbah regelmäßig hinter dem Rücken ihrer Mutter. Anne befand sich in einem Konflikt, der ihr das Herz zu zerreißen drohte. In ihr brodelte eine Wut, die sie kaum beherrschen konnte. Bei Tisch fiel sie durch störrische Schweigsamkeit oder freche Worte auf. So oft wie möglich sattelte sie Zebrony und unternahm stundenlange Ausritte, doch so sehr sie auch grübelte, es fiel ihr keine Lösung des Problems ein.
Die Tage vergingen, und Anne konnte bereits im Voraus sagen, an welchen Abenden sich Phibbah und ihr Vater trafen. Phibbah ging dann immer besonders gut gelaunt aus dem Haus, brachte Jubilo in ihre Hütte und tauchte irgendwann in der Nacht wieder auf. Anne hasste sie dafür. Ihren Vater hasste sie nicht minder, und für ihre Mutter empfand sie eine Mischung aus Mitleid und Verachtung.
Tilly lag mit dick geschwollenen Mandeln im Bett und brachte außer
einem heiseren Krächzen keinen Ton hervor. Der Arzt verordnete Ruhe und Honigwickel.
»Das geht schnell vorüber, aber nur, wenn sie sich zwei oder drei Tage schonen kann«, sagte er zu Margaret, die Tilly persönlich einen Krug kühle Zitronenlimonade brachte.
»Mrs. Cormac, so etwas Gutherziges wie Sie hat die Welt noch nicht gesehen. Jetzt versorgen Sie mich sogar, und eigentlich sollte es doch andersherum sein«, krächzte Tilly, bedankte sich und dachte wieder einmal: komische Leute, diese Iren.
Phibbah vertrat die Köchin.
Missmutig stocherte Anne im Essen
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