Koenigin der Meere - Roman
neuesten Modellen, wie sie die Damen des eleganten Paris in dieser Saison trugen. Anne warf einen flüchtigen Blick auf die Zeichnungen. Alle Kleider sahen unbequem aus. Am Oberkörper zu eng, Brusttücher, die bei jeder Bewegung verrutschten, und für die Röcke benötigte man so viel Stoff, dass man leicht ein Zelt daraus hätte nähen können. Begeistert griff ihre Mutter nach einem Ballen grüner Seide.
»Was sagst du dazu? Genau die Farbe deiner Augen. Du wirst umwerfend darin aussehen.« Es war der teuerste Stoff ihres gesamten Sortiments, und so pflichtete die Schneiderin voller Entzücken bei. Anne wollte ihrer Mutter die Freude nicht verderben und lächelte höflich.
»Sehr hübsch, wirklich, Mummy, wenn du meinst, dass es das Richtige ist.« Geduldig ließ sie ihre Maße nehmen, drehte sich nach links und nach rechts, hob und senkte die Arme, doch als es daranging, das halbfertige Korsett anzupassen, gefror ihr Lächeln.
»Muss das denn wirklich sein? Diese vermaledeiten Fischbeinstäbe pieksen und stechen, und atmen kann ich damit auch nicht richtig.« Ihre Mutter strafte sie mit einem strengen Augenaufschlag.
»Ohne Korsett ist das ganze Kleid nichts wert.« Die Schneiderin nickte.
»Korsett und Reifrock, Miss Anne, warten Sie nur, bis ich alles fertig habe, Sie werden aussehen wie eine Fee.« Missmutig beäugte Anne den Reifrock, der neben dem Tisch auf dem Boden stand.
»Dieses Folterinstrument wollt ihr mir wirklich umschnallen? Wie soll ich denn einen Schritt damit tun? Geschweige denn tanzen oder mich hinsetzen.« Margaret ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
»Wir haben noch fast drei Wochen Zeit bis zu deinem Debüt. Bis dahin lernst du, dich wie ein Engel damit zu bewegen. Wenn alle anderen jungen Mädchen das können, wirst du es wohl auch schaffen.«
Anne fügte sich ergeben und ließ sich das beinerne Ungetüm anlegen. Mit flinken Händen befestigte die Schneiderin ein paar Stoffbahnen daran und trat ein wenig zur Seite.
»Miss Anne, Sie müssen Ihre Schritte so setzen, dass der Rock von
rechts nach links schwingt. Niemals von vorne nach hinten, immer seitwärts.« Sie machte die Bewegung vor. Anne beobachtete sie genau und versuchte, es ihr gleichzutun. Mit Schwung geriet der Rock in eine Vor- und Rückwärtsbewegung, die sie fast das Gleichgewicht kostete.
»Mummy, das geht nicht. Ich fühle mich wie eine Tonne oder, besser, wie in einer Tonne. Gibt es keine andere Möglichkeit?« Ihre Mutter schüttelte energisch den Kopf.
»Anne, stell dich nicht ungeschickter an, als du bist. Du weißt, was auf dem Spiel steht.« Ihre Stimme war ungewohnt scharf. Anne senkte unglücklich den Blick. Sie wusste, worauf ihre Mutter anspielte. Eine der Bedingungen für den Fechtunterricht war, dass sie alle ihre anderen Pflichten mit dem größtmöglichen Engagement erfüllte.
Zwei Wochen später, Anne hatte Stunden geübt, sich anmutig zu bewegen, zierliche Tanzschritte zu vollführen und sich trotz Korsett und Reifrock mit Grazie zu setzen, waren ihre Mutter und Miss Holy endlich zufrieden.
Den ganzen Nachmittag verbrachte Anne mit gequältem Gesichtsausdruck unter den Händen des Friseurs, der ihre Haare mit Kämmen, Bändern und Perlen zu einer kunstvollen Kreation auftürmte. Das Kleid war rechtzeitig fertig geworden, und als Anne sich im Spiegel sah, musste sie zugeben, dass es zwar unbequem, aber sehr schön war. Die grüne Seide brachte ihre Augen, wie Margaret vorausgesagt hatte, zum Strahlen. Und wenn nicht bei jedem Schritt die am Unterrock befestigten Duftkissen lästig geschlackert hätten, hätte Anne sich vielleicht für ein paar Stunden wohlfühlen können.
»Denk daran, Kind, du bist eine Elfe«, hauchte Miss Holy und bedauerte zutiefst, dass ihre eigene Herkunft ihr einen solchen Auftritt niemals ermöglicht hatte.
Anne betrat den Ballsaal mit ihren Eltern. Die feinste Gesellschaft Charlestons war versammelt. Mit Arg usaugen begutachteten alle Mütter Kleider und Aussehen der jeweils anderen Töchter. Margaret glühte vor Stolz. Anne war das schönste Mädchen des Abends. Das fanden auch die jungen Herren, die in kleinen Gruppen beieinanderstanden und sich bemühten, möglichst gelassen und erwachsen zu wirken.
Als die Musik zum ersten Tanz aufspielte, traten sich gleich sechs Knaben aus gutem Hause auf die Füße, um Anne auf das Parkett zu führen. Margaret und William sahen es überglücklich.
»Ist es nicht wunderbar, wie begehrt sie ist? Die jungen Männer reißen
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