Koenigin der Meere - Roman
Tochter mit Kurzschwert und Degen erteilte, bereiteten ihm ebenso viel Vergnügen wie ihr.
Das Jahr neigte sich dem Ende entgegen, und wie immer kurz vor Weihnachten liefen vollbeladene Handelsschiffe im Hafen von Charleston ein. Kauffahrer aller Nationen und viele Kaperer, die ihre erbeuteten Waren zum Verkauf anboten. Die Freibeuter waren überall dort gern gesehen, wo man sich Luxus und ein wenig Extravaganz leisten konnte. Von ihnen konnte man erlesene Juwelen und Geschmeide, Seide und Brokat, Kunstgegenstände und wertvolle Lüster und Spiegel zu erschwinglichen Preisen erstehen. Auch William Cormac gehörte zu denjenigen, die keinerlei Skrupel hatten, die Männer, die der Volksmund Piraten nannte, in seinem Haus zu empfangen.
Anne war nach wie vor fasziniert von den Gestalten, die da manchmal im Arbeitszimmer ihres Vaters saßen. Wann immer es ihr gelang, Miss Holy zu entwischen, lauschte sie heimlich und versuchte durch den Türspalt einen Blick auf die Geschäftspartner ihres Vaters zu erhaschen.
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A m 22. Dezember 1715 - das Datum blieb in Annes Gedächtnis eingebrannt - betrat ein junger Mann das Haus, den sie hier noch nie zuvor gesehen hatte. Dennoch kam er ihr auf eigenartige Weise vertraut vor. Unter einem dunklen Dreispitz glänzten seine sandblonden, schulterlangen Haare, auf seiner Oberlippe spross ein blondes Bärtchen, die Zähne blitzten schneeweiß. Anne fiel fast vornüber bei dem Versuch, die Augen des Fremden zu sehen. Der Mann stand ihrem Vater seitlich zugewandt. Er war hochgewachsen, braun gebrannt, und an der Seite seines Überrocks baumelte ein Degen mit so wunderschön gearbeitetem Silbergriff, dass Anne neidisch wurde.
»Mr. Cormac, es liegt ganz bei Ihnen. Wenn Sie meine Waren exklusiv und als Erster sehen möchten, müssen Sie mich auf mein Schiff begleiten. Andernfalls lösche ich meine Ladung und biete sie an Land an, aber dann müssen Sie sich gegebenenfalls mit Konkurrenten herumschlagen.« Der Mann strich sich mit zwei Fingern seiner linken Hand über den Nasenrücken.
Anne spürte, wie ihre Knie weich wurden. Sie kannte diese Geste. Der Gast ihres Vaters war kein anderer als James Bonny, dem sie beigebracht hatte, wie man einen Bogen schnitzte. Krampfhaft dachte sie darüber nach, wie sie es, ohne unschicklich zu wirken, fertigbringen sollte, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.
Zitternd lief sie in die Küche, füllte Limonade in einen Krug, stellte ein Glas auf ein kleines Tablett und balancierte es vorsichtig über den Flur.
»Daddy, ich habe dir eine frische Limonade gebracht. Oh, verzeih
bitte, ich habe nicht gesehen, dass du Besuch hast.« William Cormac sah seine Tochter unwirsch an. Auch wenn er wie viele ertragreiche Geschäfte mit Freibeutern machte, vermied er es, Anne mit den Besuchern zusammenzubringen. Kaperer waren kein Umgang für seine Tochter, aber wenn er nicht gegen ein Minimum an Höflichkeit verstoßen wollte, blieb ihm in diesem Augenblick nichts anderes übrig, als sie seinem Gast vorzustellen.
»Mr. Bonny, das ist meine Tochter Anne. Anne, das ist Mr. James Bonny, ein Geschäftspartner.« Anne knickste, stellte das Tablett ab und reichte James Bonny die Hand. Seine Handflächen waren trocken, der Händedruck angenehm. Sie sah ihm in die Augen. Was für ein Mann. Anne musste unwillkürlich an Gordon Fatstone mit seiner glitschigen Zunge denken. Von James Bonny würde sie sich schon eher küssen lassen. Verlegen senkte sie den Blick und murmelte: »Ich hole noch ein zweites Glas.« Bonny sah ihr nach.
»Mein Kompliment, Mr. Cormac, Sie haben eine reizende Tochter.« Cormac nickte geschmeichelt. Anne kehrte mit einem weiteren Glas zurück, schenkte die Limonade ein und ärgerte sich, dass nichts ihr längeres Bleiben rechtfertigte.
»Auf hoffentlich bald einmal, Miss Cormac«, sagte Bonny, als sie sich verabschiedete, und Annes Herz tat einen kleinen Sprung.
Am nächsten Tag brachte ein Bote ein prächtiges Blumenbukett mit einer kleinen Karte. James Bonny bat um ein Wiedersehen. Anne schnappte den Strauß und rannte damit in den Salon ihrer Mutter.
»Mummy, schau nur, was für wunderschöne Blumen ich bekommen habe. Sie sind von Mr. Bonny, er ist ein Geschäftspartner von Daddy, und er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe.« Margaret lächelte.
»Wenn er der schönste Mann ist, den du je gesehen hast, sollten wir ihn vielleicht demnächst zum Tee bitten. Natürlich nur, wenn Daddy nichts dagegen hat.«
»Er wird
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