Koenigin der Meere - Roman
Piraten ihre verwundeten Kameraden zu ihm. Die Verluste waren geringer als befürchtet. Zwei Tote, acht Schwerverletzte und ein paar Männer, deren klaffende Wunden zwar genäht werden mussten, aber nicht lebensbedrohlich waren.
Viel schlimmer hatte es die Besatzung des Kauffahrers getroffen. Fast die Hälfte der Männer war tot, mehrere so schwer verletzt, dass sie die nächsten Stunden nicht überleben würden, die übrigen hatten
schwere Blessuren davongetragen. Einzig der Kapitän hatte den Angriff ohne eine Schramme überstanden. Rackham schlug dem verängstigten Mann mit der Spitze seines Entermessers den Dreispitz vom Kopf.
»Ich habe dich gesehen, du Feigling! Während deine Männer versuchten, dein Schiff zu retten, hast du dich in die Kajüte verpisst. Eine Schande! Ich sollte dir das Messer in deinen fetten Wanst rammen.« Der Mann sah ihn aus seinen verquollenen Trinkeraugen an und blinzelte furchtsam.
»Gnade! Ich bitte um Gnade! Ich habe Frau und Kinder«, winselte er. Rackham spuckte auf den Boden und schnaubte verächtlich.
»An einer Ratte wie dir, mache ich mir die Finger nicht schmutzig!« Er stellte sich auf eine Kiste und rief: »Männer! Der Teufel hat die Karten neu gemischt, und wir haben das Spiel gewonnen! Furzdonnerschlag! Schafft auf die Treasure , was wir brauchen können, und dann nichts wie weg hier, bevor dieser jämmerliche Kahn auf Grund geht!« Johlend stürmten die Piraten unter Deck und plünderten das Handelsschiff bis auf den letzten Seesack.
Jubilo, dem Rackham verboten hatte, am Kampf teilzunehmen, stand neben dem Schiffsarzt und assistierte ihm, so gut er konnte.
»Das sieht böse aus, mein Freund. Ich hoffe, dass ich dein Bein retten kann. Ich nähe es jetzt, aber wenn es sich entzündet, wirst du den Unterschenkel verlieren«, sagte Benzon zu einem jungen Piraten, dessen Augen sich mit Tränen füllten.
»Jubilo! Lauf und hol noch einen Krug Rum. Der kleine Rest hier reicht nicht für die Operation, denn ich brauche auch einen Schluck!« Der Arzt sah seinen Patienten mitleidig an.
»Heul ruhig, wenn du dich dann besser fühlst. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich auch heulen.« Der Junge schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander.
»Wie du willst. Dann werden wir beide uns einen genehmigen und gucken, was sich machen lässt.« Benzon nahm eine gebogene Nadel aus seiner Tasche und reichte sie Jubilo.
»Das Einfädeln kannst du besorgen, deine Augen sind besser als meine.« Jubilo fädelte die Darmsaite in das Öhr und reichte die
Nadel zurück. Wimmernd ertrug der Patient die ersten Stiche an seiner Wade, dann erlöste ihn eine tiefe Ohnmacht von den Schmerzen.
Anne, die inzwischen auf die Treasure zurückgekehrt war, hatte nicht einmal Zeit gefunden, ihr blutgetränktes Hemd zu wechseln. Auf Calicos Befehl errichtete sie am Heck ein Zelt aus Ersatzsegeln, damit die Verletzten einen geschützten Platz hatten, an dem weder Sonne noch Regen sie treffen konnten.
Die beiden Toten wurden in Segeltuch eingenäht und dem Meer übergeben.
Rackham stand am Mast und ließ es sich nicht nehmen, die Beute persönlich zu begutachten. Bei jeder Kiste, jedem Sack und jedem Fass, das die Piraten herüberbrachten, strahlte er mit seinem Quartiermeister um die Wette. Das Handelsschiff war bis unter die Planken mit Kostbarkeiten beladen. Wertvolle Textilien, Seidenkleider nach der neuesten Mode geschneidert, französische Riechwasser, Salben und Schönheitscremes und obendrein säckeweise Pfeffer von den Gewürzinseln der Molukken, Muskat, Nelken, Ing wer, Zimt aus Ceylon, Reis aus Indien und sogar Tee aus China.
»Furzdonnerschlag! Das bringt ein Vermögen! Die Säcke trocken lagern, jedes Körnchen ist kostbar. Wenn alles verstaut ist, wird gefeiert!« Calico Jack verließ seinen Posten und ging zum Heck. Hier inspizierte der Arzt gerade eine Schädelverletzung. William Griffith, ein magerer, sehniger Junge war bei Bewusstsein, und Rackham hörte ihn schon von Weitem fluchen: »Jeder Hufschmied hat mehr Feingefühl als du, Doc! Wer, zum Teufel, hat dir bloß erlaubt, mit all diesen Geräten an mir herumzufummeln.« Benzon lachte.
»Dafür, dass du ein riesiges Loch in der Rübe hast, riskierst du eine ganz schön dicke Lippe. Jetzt halt mal die Klappe und mach die Augen auf. Ich muss feststellen, ob deine Pupillen gleich groß sind.« Griffith schaute ihn an. Der Arzt runzelte besorgt die Stirn.
»Kannst du mich richtig sehen?« Der Junge zögerte.
»Es
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