Koenigin der Meere - Roman
Fesseln.
»Schneidet ihn los, und dann ab ins Meer mit ihm!« Rackham wandte sich dem am Boden liegenden Offizier zu.
»Und jetzt zu dir. Hast du wirklich gedacht, du könntest etwas gegen mich ausrichten? Du elender Idiot! Furzdonnerschlag! Dir zeige ich, was es heißt, die Hand gegen Jack Rackham zu heben!« Er ließ ein Seil an den Fesseln des Mannes befestigen und ihn hoch hinauf in die Takelage ziehen. Über dem Schiff schwebend musste der Offizier mit ansehen, wie seine Kameraden einer nach dem anderen mit von Schlägen zerfetzten Rücken über die Reling ins Meer geworfen wurden.
Haie peitschten das Wasser rund um die Juliana zu einer blutroten Melange. Rackham reckte seine rechte Faust gen Himmel.
»Holt die Matrosen her!«, schrie er, und seine Stimme überschlug sich. Johlend folgten die Piraten seinem Befehl und stürmten zum Fockmast. Die einfachen Seemänner, viele von ihnen gegen ihren Willen in den Seedienst gepresst, waren in Zehnergruppen aneinandergefesselt und stolperten unter den Schlägen ihrer Peiniger zur Mitte des Schiffs. Dort stand Rackham und brüllte: »Wer ist euer Wortführer?« Mit unsicherem Blick hob ein stämmiger Mann mit dunklen Haaren die Hand. Von der Stirn bis hinunter zur Nase zog sich eine leuchtend rote Narbe. Rackham musterte ihn aufmerksam und fragte ihn nach seinem Namen.
»Henry Virgin, Sir«, antwortete der Mann mit fester Stimme.
»Virgin, hör gut zu, was ich dir sage, denn es gilt für euch alle. Ich werde die Juliana nicht versenken, sondern sie zu meinem Flaggschiff machen. Wer von euch mitfahren will, ist willkommen, sich mir und meinen Leuten anzuschließen.«
Nachdem sich der Lärm auf Deck gelegt hatte, war Anne wieder nach oben gekommen. Den Offizier, der noch immer oben in der Takelage hing, hatte sie nicht gesehen. Rackham fuhr fort.
»Wer es vorzieht, die Juliana zu verlassen, hat nichts zu befürchten. Ich werde euch mit genügend Proviant ausstatten und erlaube jedem, der zurück in sein altes Leben will, an Bord der Treasure zu gehen und Meer zu gewinnen. Wir werden euch nicht verfolgen und nicht beschießen. Mit ein bisschen Glück bringt euch der alte Kasten bis ans nächste Ufer. Sollte allerdings jemand wagen, sich gegen mich und meine Männer aufzulehnen, wird er mit dem Leben dafür bezahlen.« Mit diesen Worten drehte Rackham sich um und durchtrennte mit einem scharfen Schnitt das Tau, an dem der Offizier baumelte. Vor den Augen aller schlug der Mann mit grausigem Klatschen auf die Planken. Sein Schädel zerplatzte wie eine überreife Melone, seine Gliedmaßen waren unnatürlich verrenkt. Die Matrosen schrien auf. Anne schaffte es gerade noch bis zur Reling, dann übergab sie sich. Was war nur in Calico gefahren. Sie unterdrückte die aufsteigenden Tränen.
Rackham betrachtete den Leichnam völlig ungerührt.
»Ich denke, ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt. Virgin, du wirst jetzt mit deinen Kameraden das Deck aufräumen, die Toten den Haien opfern und mir in einer Stunde sagen, wer von euch bei uns bleibt. Und denkt daran: Meine Männer bewachen euch. Eine falsche Bewegung, und es geht euch wie ihm hier.« Er kickte mit der Schuhspitze gegen das linke Bein des Toten.
»Aye! Kapitän!«, salutierte Virgin, und Rackham wusste, dass er den Wortführer der Matrosen auf seiner Seite hatte. Eine Stunde später war das Deck halbwegs gesäubert, und Henry Virgin informierte seinen neuen Kommandanten, dass mit ihm mehr als die Hälfte der Mannschaft bei ihm bleiben wolle.
»Sir, und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, auf den Rest
können wir getrost verzichten. Wimmernde Würmer, keine Männer.« Rackham nickte ihm zu.
»Willkommen an Bord, Virgin, und jetzt sag mir noch eines. Die Narbe.« Er deutete auf den wulstigen roten Strich in Virgins Gesicht. »Wo hast du die her?«
»Der Degen des Kapitäns, Sir.« Rackham sah ihn scharf an.
»Furzdonnerschlag! Was immer du getan hast, um dir diesen Hieb zu verdienen, für so was fliegst du bei mir über die Reling!«
»Aye, Sir!« Virgin verzog keine Miene.
-23-
D ie Juliana war eine Galeone, wie Anne sie nie zuvor gesehen hatte. Trotz des Piratenangriffes hatte das Schiff bis auf ein paar zerfetzte und verbrannte Segel kaum Schaden genommen. Gemeinsam mit Jubilo schritt Anne die achtunddreißig Meter auf Deck ab.
Hauptmast, Besanmast und Fockmast hatten keinen Kratzer abbekommen. Achterdeck und Back waren von den Spuren des Gemetzels gereinigt worden, unter Deck befanden sich
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