Koenigin der Meere - Roman
lächelte sie an. Zu ihrem Ärger musste Anne sehen, dass er Emma mit einem vertraulichen Zwinkern bedachte.
»Warum nicht, Madam. Das ist eine ausgezeichnete Idee. Betrachten Sie sich für die Dauer der Reise als mein Gast. Selbstverständlich steht Ihnen und Ihrer Zofe die Kajüte weiterhin zur Verfügung. Die Tür werde ich gleich richten lassen«, sagte er galant. »In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, die Kabine einstweilen nicht zu verlassen. Und heute Abend werden Sie mir die Ehre erweisen und mit mir speisen«, bot Calico seinen ganzen Charme auf, verließ die Kajüte und winkte Anne, ihm zu folgen.
»Und heute Abend werden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu speisen!«, äffte sie ihn draußen nach. »Ich wusste gar nicht, dass du so gestelzt reden kannst. Und wie du die kleine Emma angesehen hast. Als wolltest du sie am liebsten gleich an Ort und Stelle ausziehen!« Anne stampfte wütend mit dem Fuß auf.
»Vielleicht will ich das ja auch!« Rackham stieg die Treppe hoch. Anne fühlte einen Kloß in ihrem Hals.
»Wag es nicht!«, keifte sie, bevor sie das Deck erreichten. Calico drehte sich um und funkelte sie wütend an.
»Wag du nicht, in diesem Ton mit mir zu sprechen! Du hast viel zu verlieren!«, drohte er ihr unverhohlen.
Den Nachmittag verbrachte Rackham damit, Matrosen und Piraten so aufzuteilen, dass auf keinem der drei Schiffe die Gefahr einer Meuterei entstehen konnte. Das Kommando über die Treasure gab er seinem bisherigen Maat. Bevor der mit den ihm zugeteilten Leuten zurück an Bord ging, informierte Rackham die Männer.
»Jungs, wir haben zwei Gäste auf der Shelter . Ich habe in der Kajüte
zwei Damen entdeckt!« Die Besatzung unterbrach ihn mit Pfiffen und Gegröle.
»Schnauze halten! Furzdonnerschlag! Damen, habe ich gesagt, und Gäste! Wir bringen die beiden nach Maracaibo und kassieren dort ein fettes Lösegeld. Bis dahin wird keiner der beiden auch nur ein Haar gekrümmt. Reißt euch zusammen. Ich übernehme das Kommando auf der Shelter . Wenn ich einen von euch erwische, dass er sich ungebeten auch nur in die Nähe der beiden begibt, lasse ich die neunschwänzige Katze ein Tänzchen auf seinem Rücken wagen! Habe ich mich klar ausgedrückt?« Die Männer antworteten mit mürrischem Brummen. Anne stand neben Calico.
»Wenn sich einer ungebeten den beiden nähert, bist ja wohl du es«, fauchte sie. »Glaub nur nicht, dass ich dich aus den Augen lasse.« Rackham grinste hämisch.
»Nun, dann würde ich vorschlagen, dass du dir ein Fernglas mitnimmst. Du gehst nämlich zusammen mit Jubilo auf die Treasure . Wir sehen uns dann in Venezuela.« Anne wurde blass vor Wut. Sie brauchte nicht lange nachzudenken, um zu begreifen, was dieser Befehl bedeutete. Calico war und blieb ein Schürzenjäger, so wie Cissy es immer behauptet hatte. Und im Augenblick war er hinter der Schürze dieser kleinen Emma her, und sie störte ihn dabei.
»Das wirst du bereuen.« Ihre Stimme war heiser vor Zorn. Rackham sah sie ungerührt an.
»Du drohst mir schon wieder. Pass nur auf, dass du am Ende nichts zu bereuen hast.«
Die drei Schiffe segelten im Konvoi Richtung Maracaibo. Hätte der Gouverneur gewusst, dass der ihm so verhasste Kapitän Rackham ganz nah an Jamaika vorbeifuhr, hätte er eine Flotte ausgerüstet und Jagd auf ihn gemacht.
Annes Zorn war ohnmächtiger Enttäuschung gewichen. Sie schlief schlecht, aß wenig, tat ihre Arbeit und ging ihren Kameraden so gut wie möglich aus dem Weg. Jede Nacht lag sie wach und quälte sich mit der Vorstellung, wie statt ihrer jetzt Emma an Calicos Seite schlief.
Dass sie sich an ihm rächen würde, stand ganz außer Frage. Wie sie das anstellen sollte, darüber musste sie noch nachdenken.
Der Wind stand günstig. Rackhams Flottille kam zügig voran, da näherte sich von Weitem deutlich sichtbar ein riesiges Handelsschiff.
»Holländer!«, brüllte der Mann im Krähennest. »Ich kann die Flagge erkennen!« Rackham nahm das Fernglas und ging zum Bug. Seit sie nach Maracaibo aufgebrochen waren, war seine Laune täglich schlechter geworden. Seine Versuche, die hübsche Emma für sich zu gewinnen, waren kläglich gescheitert. Zunächst hatte das Mädchen durchaus ermunternd auf seine Avancen reagiert, doch dann, als er sich ganz kurz vor dem Ziel wähnte, war sie auf einmal abweisend gewesen. Rackham wusste nicht, dass Grace Thomson ihrer Zofe gedroht hatte, ihr auf der Stelle zu kündigen und den Piraten für immer auszuliefern, wenn sie sich
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