Königin der Piraten
Triton gekommen, da er von der Victory aus Lärm und Pistolenschüsse gehört hatte. Und kaum hatte der klein gewachsene Held die Einzelheiten erfahren, lobte er Ihre Majestät überschwänglich - Gray dagegen bekam die volle Breitseite seiner Empörung ab.
»Ihr verdammter Narr, sie hat Euch das Leben gerettet!«, hatte er gezürnt und in dem leeren Ärmel wütend mit seinem Stumpf herumgefuchtelt. »Ist das Eure Art, ihr Eure Dankbarkeit zu zeigen?«
Gray schlug einen Arm über die Augen und wünschte, er könnte all diese Gedanken verbannen. Die Gedanken an das Töten. An die Hinrichtungen am Vorabend. An Maeve. An Nelsons heftigen Zorn. Aber verdammt, Nelson hatte nicht gesehen, wie die Frau, die er liebte, kaltblütig einen Menschen umbrachte und sich auch noch daran ergötzte!
Er riss die Vorhänge beiseite und krabbelte aus der Koje. Als ihm der Duft von heißem Kaffee und gebratenem Schweinefleisch in die Nase stieg, wurde ihm übel. Der Boden unter seinen Füßen war kühl und klamm. Oh, ihm graute vor dem Gedanken, an Deck zu gehen und im Tageslicht zu sehen, wo seine Geliebte den Piraten niedergemetzelt und ihn, Gray, dann angesehen hatte wie eine Katze, die ein Lob erwartete, weil sie ihrem Besitzer eine tote, ausgeweidete Maus vor die Tür gelegt hatte.
Dort würde alles voller Blut sein, Flecken, die vielleicht nie mehr verschwinden würden.
Es wird Zeit, dass du zwischen Fantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden lernst.
Als Gray sich mit der Hand durchs Haar fuhr, blieb er mit dem Daumen in seinem goldenen Ohrring hängen - beinahe hätte er ihn angewidert abgerissen.
Mit einem Mal hatten Piraten für ihn jeglichen Reiz verloren.
In der flüchtigen Hoffnung, dass der Mann, den sie liebte, ihr ein ähnlich versöhnliches Schreiben senden würde, beschloss Maeve, noch eine Stunde bei der britischen Flotte zu bleiben, aber nicht länger. Sie begab sich an Deck, und als ob sie Grays Abneigung gegen ihr Können in dieser Kunst trotzen wollte, lieferte sie sich mit Eno-lia einen erbitterten Schwertkampf, bei dem sie beinahe beide umgekommen wären. Dann sackte sie vor Erschöpfung zitternd im Schatten des Dollbords zusammen und widmete sich missmutig einem Krug mit kühlem Bier.
Nichts geschah.
Sie zückte ihren Dolch und stutzte sich damit die Fingernägel.
Immer noch keine Nachricht.
Damit war der Fall also erledigt. Zur Hölle mit Gray. Maeve stand auf, knallte den Bierkrug auf das Kompasshaus und stürmte zum Ruder.
Auf dem Weg dorthin begegnete sie Orla, die sie besorgt ansah.
»Klar zur Wende; wir«fahren zurück auf die Insel«, fuhr Maeve sie an.
»Aber Majestät ...«
»Klar zur Wende, habe ich gesagt!«, brüllte Maeve, und nach kurzem Zögern ging ihre Freundin wortlos nach vorne und rief die anderen, damit sie ihr halfen, das Focksegel der Kestrel zu hissen.
Überall an Deck standen Maeves Piratinnen und starrten sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
Sie wandte sich rasch um, trat ans Ruder und trommelte ungeduldig und verärgert mit den Fingern auf dem glatten Holz herum. Schon flog das große Focksegel in die Höhe, und mit jedem Zentimeter, den die schwingende Gaffel sich bewegte, wurde Maeve das Herz schwerer. Das Segel rollte sich im Wind aus und flatterte stürmisch in der Morgensonne. Mit jeder Bewegung von Segeltuch und Spieren tanzten Schatten über das Deck.
Noch immer legte kein Boot von der Triton ab, keine erschreckte Gestalt erschien auf dem Achterdeck, kein Signal - nichts.
Maeve verspürte einen grausamen, herzzerreißenden Schmerz in der Brust.
»Großsegel setzen«, befahl sie knapp, und als ihre Besatzung zum Fall stürmte und begann, Klau-und Piekfall aufzuziehen, warf sie unwillkürlich noch einen Blick hinüber zur Triton.
Eine Bewegung.
Eine Flagge, die am Mast emporstieg ... noch eine ... und eine dritte.
»Käpt'n! Sir Graham sendet Signale!«
»Sir Graham kann meinetwegen zur Hölle fahren und dort verschmoren, bis er schwarz wird.«
»Wir müssen das Signalbuch holen, das Kapitän Lord uns gegeben hat, damit wir lesen können, was er sagt!«, rief Aisling, schnappte sich ihre Schwester und rannte mit ihr nach unten.
Noch mehr Flaggen stiegen an den Masten des großen Kriegsschiffes hinauf.
»Beeilt euch, verdammt!«, fuhr Maeve ihre zögernde Besatzung an.
Dann starrte sie wieder zur Triton hinüber - und sah, wie sich an deren mächtig aufragender Seite eine Geschützpforte öffnete. Die schwarze Mündung einer Kanone kroch ins
Weitere Kostenlose Bücher