Königin der Piraten
ein Leid geschieht ...«
In ehrfürchtiger Scheu lehnte Gray sich an den Türrahmen und wagte nicht, einen Laut von sich zu geben. Nur ein Lächeln erschien langsam auf seinen Lippen, denn in diesem Moment erblickte er die Frau unter der harten Piratenkönigin. Diese Seite von ihr hätte er vielleicht nie kennen gelernt, wenn das junge Mädchen nicht den Albtraum gehabt hätte. Sein Herz wurde von einem starken, wundervollen Gefühl ergriffen, bis es ihm fast schmerzhaft in der Brust schlug, und eine innige Zärtlichkeit durchströmte ihn, wie er sie noch für keine andere Frau empfunden hatte.
Maeve als Mutter.
Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz, und er spürte, wie das Gefühl in seiner Brust sein ganzes Wesen erfasste. Lange stand er dort in der Dunkelheit an den Türrahmen gelehnt und betrachtete seine Liebste, während sie Aisling die Geschichte der Maeve aus den Legenden erzählte, jener kriegerischen Königin aus dem irischen Connacht, nach der sie benannt worden war. Zwischendurch verfiel sie immer wieder in eine ihm unbekannte, fremd klingende Sprache; das musste wohl das alte irische Gälisch sein.
Gray sah den beiden zu, bis das Mädchen wieder eingeschlafen war. Das Herz war ihm übervoll, als er in Maeves Zimmer zurückschlich, die Hosen abstreifte und wieder unter die Decke schlüpfte.
Als Maeve zurückkam, schlief ihr Geliebter augenscheinlich tief und fest. Doch in der Dunkelheit konnte sie nicht sehen, wie zärtlich er lächelte.
Eine halbe Stunde später erhoben sich Maeve und Gray, zogen sich leise an und öffneten die Tür von Maeves Zimmer. Es war drei Uhr morgens, und im Haus war es dunkel und ganz still.
Mit ihrem feurigen Geliebten hinter sich spähte Maeve in den dunklen Flur hinaus. Aus Enolias Zimmer drang leises Schnarchen. Durch den Korridor wehte ein laues, noch regenfeuchtes Lüftchen und bauschte die Gardinen am gegenüberliegenden Fenster auf, sodass sie aussahen wie die Finger eines Gespenstes.
Maeve tastete sich im Dunkeln ein paar Schritte vorwärts, blieb jedoch plötzlich abrupt stehen. Gray hinter ihr prallte so heftig gegen ihren Rücken, dass ihr die Luft wegblieb.
»Trottel!«
Gray lachte. Maeve stimmte ein, schlug ihm aber zugleich die Hand vor den Mund. Ein Schauder überlief sie, als er ihre empfindliche Handfläche mit der Zunge kitzelte. Starke Finger schlössen sich warm und männlich um die ihren; dann hob Gray ihren Arm und begann, an der zarten Innenseite zu knabbern. Maeve war an diesem Abend bereits einmal in einer verfänglichen Situation ertappt worden - das sollte ihr nicht noch mal passieren.
»Hör auf!« Sie versuchte, streng zu klingen, musste aber unwillkürlich lachen. So würden sie nie nach unten kommen!
»Womit, Majestät? Soll ich aufhören, Euch zu lieben? Mhm, aber Ihr schmeckt so gut ...«
»Schsch!«
»Was für ein Genuss wäre es, Euch gleich hier in der Diele zu nehmen ...«
»Gray!« »Was für ein Genuss wäre es, mein Schwert bis ans Heft zu versenken ...«
Ohne auf sein leises Lachen zu achten, ergriff Maeve seine Hand und tappte im Dämmerlicht vorsichtig auf die Treppe zu. Auf halbem Wege nach unten verfehlte Gray eine Stufe und stolperte schwer gegen sie. Maeve schnappte erschreckt nach Luft und angelte nach dem Geländer, aber Gray fing sie auf, bevor sie fallen konnte.
Das Gepolter hätte jedoch selbst die Toten aufgeweckt.
»Schsch!«
Zur Antwort gab Grays Magen ein lautes, tiefes Knurren von sich, das im Dunkel widerhallte. Maeve konnte nicht anders: Sie musste lachen.
Ungeachtet der Stufen unter ihnen beugte Gray sie weit nach hinten über seinen Arm und küsste ihr das Lachen von den Lippen. Dann zog er sie hoch in seine Arme.
»Lass mich runter«, keuchte Maeve, die Angst hatte, er könnte noch eine Stufe verfehlen und sie würden sich beide den Hals brechen. Doch Gray hielt sie fest und trug sie mit Leichtigkeit in der Dunkelheit die Treppe hinunter.
Erst als er sie auf dem kühlen, polierten Boden absetzte, merkte Maeve, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.
»Du bist unmöglich«, fuhr sie ihn scherzhaft an. Als sie zu ihm aufblickte, spürte sie, wie ihr Herz seltsam weich wurde.
Gray verbeugte sich schwungvoll vor ihr. »Stets zu Euren Diensten, Majestät.«
In seinen Augen entdeckte sie etwas - nicht Begehren wie bei ihren ersten Begegnungen, sondern etwas Verletzliches, Zärtliches, etwas anderes ...
Barfuß und Hand in Hand - er in seinen schmucken schwarzen Hosen, sie in einer
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