Königin der Piraten
verwundet worden war ... Gray, der nun zu Nelsons berühmtem »Bund der Brüder« gehörte und seinen Zweidecker längsseits eines französischen Schiffes lenkte, das er restlos vernichtete, während die Sonne über der glorreichen Schlacht von Abukir unterging ...
Erinnerungen.
Nun sah Nelson, wie die Flagge eines Kommodores den Mast seines Schützlings zierte, sah, wie er für seine Tapferkeit bei Abukir zum Ritter geschlagen und anschließend auf den Westindischen Inseln stationiert wurde ... Seitdem hatte er ihn nicht mehr gesehen.
Was würde er erblicken, wenn die Piratenkönigin ausgerechnet diesen Mann zu ihm bringen würde?
Nelson seufzte im Traum leise auf. Sein ruheloser Geist war im Schlaf ebenso aktiv, wie wenn er wach war, und wanderte nun zum Sieg über Napoleons Flotte ... zu seiner Rückkehr nach Merton, seinem Zuhause ... zu Emma, seiner geliebten Emma! Und zu Horatia, seiner süßen, kleinen Tochter.
Emma ...
Als ihn eine Hand an der Schulter berührte, fuhr er mit einem Ruck aus dem Schlaf auf. Vor ihm stand die Piratenkönigin.
»Guten Abend, Mylord.«
»Bei Gott, wie seid Ihr denn hier hereingekommen?«, rief Nelson. Er setzte sich in der Hängematte auf und verhüllte sich notdürftig mit der Decke.
»Nicht auf besondere Einladung, das könnt Ihr mir glauben.« Maeve trat ein wenig ins Dunkel zurück und kehrte ihm den Rücken zu, damit er in Ruhe die Fassung wiedergewinnen konnte. Sie trug ein violettes Kleid im Piratenstil, das sie zum Zwecke größtmöglicher Bewegungsfreiheit bis zu den Hüften hochgerafft hatte. Ihren eleganten Hals umschloss ein eng anliegendes Band aus Haifischzähnen; dazu hielt sie ein Entermesser in der Hand. Nelson staunte, denn die schlanke Frau musste enorm stark sein, um diese Waffe mit so offenkundiger Leichtigkeit zu schwingen.
»Lasst Euch Zeit, Mylord.« Ihre Stimme klang seltsam kraftlos. »Ich warte in Eurem Salon auf Euch.«
Nelson starrte ihr entgeistert und verblüfft nach, als sie seelenruhig hinausschlenderte.
»Madam, dieses Verhalten ist höchst ungebührlich!« Gott sei Dank hatte er wenigstens ein Nachthemd an. »Ich dulde keine Frauen an Bord meines Schiffes. Ich habe meiner lieben Lady Hamilton hoch und heilig versprochen, dass ich nicht ...«
»Mylord.« Als Maeve sich umwandte, fiel ein verirrter Strahl des Mondlichts durchs Fenster genau auf ihr Gesicht. Im Halbdunkel sah Nelson ihren schmerzerfüllten Blick und ihre zusammengepressten Lippen, auf denen kein Lächeln lag. »Ich bin nicht hergekommen, um Euch Eurer heiß geliebten Emma auszuspannen. Macht Euch also keine Sorgen. Ich bringe Euch nur Euren Verräter, wie versprochen.«
»Meinen Verräter? Welchen Verräter? Ach ja, meinen Verräter - den meint ihr!« Nelson fummelte im Dunkeln an seinem Hosenbund herum, um ihn zu schließen. Dazu hätte er wahrscheinlich nur halb so lange gebraucht, wenn er noch beide Hände gehabt hätte. »Und ich dachte schon, Ihr wüsstet etwas Neues von Wiel-nuuv. Keine Neuigkeiten? Oh, bitte, sagt, dass Ihr noch etwas wisst. Ich war ein Dummkopf, wirklich ein Dummkopf, als ich nicht auf Euch gehört habe! Aber wie dem auch sei, ich werde ihn schon noch einholen, und dann bekommt er eine gründliche Abreibung.«
Nelson eilte in den riesigen Salon hinüber, der gleichfalls im Halbdunkel lag. »Wo ist mein Verräter denn, Madam? Ich sehe ihn nicht.«
»Noch auf meinem Schoner. Mein erster Offizier streitet gerade mit Eurem Wachoffizier darum, ihn an Bord zu bringen. Verzeiht, dass ich so unhöflich hier eingedrungen bin, Mylord, aber ich dachte, ich könnte Euch vielleicht dazu bewegen, Euch persönlich um die Angelegenheit zu kümmern.«
»O ja, selbstverständlich!«, rief Nelson aufgeregt. Er ließ sich in einen Sessel fallen und zog sich die Schuhe an, doch seinen mit Bändern, Orden und Sternen geschmückten Uniformrock überzustreifen gelang ihm nicht. Gereizt schleuderte er die Jacke aufs Sofa.
Maeve betrachtete die Uniform und murmelte mit einem abwesenden Ausdruck in den Augen: »Ein Verräter verdient nicht so eine würdevolle Aufmachung, Mylord.«
»Er ist nicht nur ein - oh, kann ich Euch das sagen? Soll ich? Nein, lassen wir das. Wenn er gewollt hätte, dass Ihr Bescheid wisst, hätte er es Euch schon gesagt. Das geht mich nichts an, und ich will mich da nicht einmischen - aber mein armes Herz, mein Kopf! Wie mich das alles mitnimmt! Ich bin wie im Fieber, völlig aufgewühlt - mein Gott, wo steckt denn mein Diener? Verflixt,
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