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Königin der Piraten

Königin der Piraten

Titel: Königin der Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danelle Harmon
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dreitausendfünfhundert Tonnen rollte sanft unter ihm. Der höchste ihrer drei Masten, der über sechzig Meter hoch in den Himmel aufragte, schien an die funkelnden Sterne heranzureichen, und ein Deck ums andere türmte sich über der Wasserlinie auf, die mehrere Etagen unter dem Poopdeck lag. Doch ihr Admiral war in diesem Moment nicht länger der schuldengeplagte, von Gewissensbissen heimgesuchte, hagere Held, die Hoffnung eines Landes und der Stolz einer Kriegsmarine. Nein, er war wieder dreiundzwanzig Jahre alt, unerschrockener Kapitän der schneidigen Fregatte Albemarle und hatte noch beide Arme, beide Augen und darüber hinaus einen neuen Fähnrich, der ein solcher Angsthase war, dass er den Befehl eines Leutnants, in die Takelung hinaufzuklettern, verweigerte.
    Sie befanden sich auf der Nordsee, und der dreizehnjährige Junge, der letzte Neuzugang in der schneidigen Besatzung, stand zusammengekauert im Schatten des Großmasts und schaute ziemlich kläglich aus der Wäsche. Er war kreidebleich von der Seekrankheit, und den Mund hatte er vor Angst zu einem Strich zusammengepresst. Vor seinen Kameraden versuchte er, tapfer auszusehen, doch an einem solch stürmischen Tag war das vergebliche Liebesmühe: Die aufgewühlte See und eine steife Brise ließen die mit achtundzwanzig Geschützen bestückte Fregatte tänzeln und bocken wie ein Rennpferd. Als Kapitän Nelson den neuen Fähnrich, das jüngste seiner »Kinder«, wie er sie gerne nannte, erblickte, bekam er Mitleid mit ihm.
    Der arme Junge. Er war schon zu groß, um in den Arm genommen zu werden. Munter schwang Nelson sein Fernglas und ging zu dem bedauernswerten Knaben hinüber, um ihn an der Schulter zu fassen. »Was machst du denn für ein trübsinniges Gesicht, mein Lieber? Darf ich fragen, was der Grund dafür ist?«
    In der Kehle des Jungen arbeitete es, als er die ängstlichen blauen Augen auf seinen Kapitän richtete. Er war den Tränen nahe, doch er reckte das Kinn vor, das noch so zart war, dass es keine Rasur benötigte, und hielt Nelsons Blick stand. »Heimweh, Sir. Und ... und ...«
    Zuzugeben, dass er Angst hatte, in die Takelage hinaufzuklettern, war natürlich nicht gerade mannhaft. Und der arme kleine Gray, der gerade erst den tränenreichen Abschied von sechs bewundernden Schwestern und seinen Eltern überstanden und nun die erste Fahrt auf seinem ersten Schiff angetreten hatte, bemühte sich sehr, sich wie ein Mann zu verhalten.
    Er war hoch aufgeschossen und schlaksig, bestand eigentlich nur aus Armen und Beinen und war mindestens einen Kopf größer als sein Kapitän. Dennoch pflanzte Nelson sich vor dem armen Jungen auf und drehte ihn so um, dass die Kameraden seine Tränen nicht sehen konnten und er vor ihrer Häme geschützt war. Schniefend hob Gray den Blick und wurde noch blasser, als er dicke, wirbelnde Wolken über den am Mast flatternden Wimpel dahinjagen sah.
    »Ich kann das nicht, Sir«, sagte er mit zitternder Stimme. »Ich möchte ja, aber ich ...« Er wandte den Blick ab und wurde schamrot. »Ich habe Angst.«
    Nelson lächelte. »Aber, aber, mein Junge! Ich würde nichts von dir verlangen, das ich nicht selbst auf der Stelle tun würde. Was hältst du davon, wenn wir zusammen hinaufklettern?« Er grinste und tat ganz so, als wäre er gerade erst auf diese Idee gekommen, um einen frisch angeheuerten Jungen dazu zu bringen, in die Takelage zu steigen. In Wirklichkeit wandte er diese Methode häufig an und hatte großen Erfolg damit. »Klettern wir um die Wette. Ja, um die Wette! Wer zuerst oben ist, hat gewonnen.«
    Der Junge riss die dunklen Augen weit auf. »Aber Sir ... Ihr seid doch der Kapitän! Es ist nicht Eure Aufgabe, in die Takelage zu steigen.«
    »Was meine Aufgabe ist, Junge, das lass meine Sorge sein. Also, klettern wir um die Wette oder nicht?«
    Der Knabe starrte ihn an.
    »Nun?«
    Der Junge schaute zu den hohen Masten mit den geblähten Segeln und den flatternden Wimpeln hinauf. »Sir ... glaubt Ihr, die Piraten« - er sprach das Wort voller Ehrfurcht und Respekt aus - »sind sehr oft in die Takelage gestiegen?«
    Eine seltsame Frage, dachte Nelson etwas irritiert. Er schürzte die Lippen und überlegte einen Augenblick. »Gewiss, junger Mann. Das haben sie ganz bestimmt getan.«
    Der Knabe dachte nach, offenbar hin-und hergerissen zwischen seiner Angst vor der Schwindel erregenden, schwankenden Höhe und der Herausforderung durch seinen Kapitän.
    Dann richtete er die dunkelblauen Augen, die nun entschlossen

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