Königin der Schwerter
setzte sich die Spitze der Gruppe in Bewegung. Dem Fremdenführer folgend, stiegen sie eine Treppe empor und tauchten einer nach dem anderen in die ehrwürdige Dunkelheit ein, die das Grab seit fünftausend Jahren umfangen hielt. Es folgte ein fast zwanzig Meter langer, enger Gang, der so niedrig war, dass der Mann vor Manon nur geduckt gehen konnte. Die Wände waren mit aufwendig ge s talteten Mustern verziert, und Manon konnte nicht umhin, die einstigen Künstler zu b e wundern. Der Gang mündete in eine kreuzförmige Grabkammer, die so ausgeleuchtet war, dass die Schönheit der Stei n zeichnungen gut zur Geltung kam.
Ehe der Fremdenführer damit begann, die einze l nen Symbole und deren Bedeutungen zu erklären, wartete er geduldig, bis auch Sandra als letzte der Gruppe die Grabkammer erreichte. »All jene Bes u cher, die bei der Enge und dem Gedanken an die Tonnen von Stein über unseren Köpfen ein mulm i ges Gefühl beschleicht«, leitete er den Vortrag ein, »möchte ich mit dem Hinweis beruhigen, dass die sechs Meter d i cke Steindecke die vergangenen fün f tausend Jahre völlig unbeschädigt überstanden hat. Daran wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den nächsten zwa n zig Minuten nichts ändern.« Einige Besucher lachten, anderen stand das Unbehagen trotz der trös t lichen Worte deutlich ins Gesicht geschrieben. Wä h rend der Fremdenführer mit se i nem Vortrag begann, blickte Manon verstohlen zu Sandra, die abseits der Gruppe stand. Von der Au f regung und Furcht, die sich vor der Höhle auf dem Gesicht ihrer Freundin gezeigt hatten, war nichts mehr zu sehen. Sandra wir k te jetzt sehr konzentriert. Ihr Augenmerk galt jedoch nicht den Ausführungen des Fremdenführers, sondern den Steinzeichnungen, die sich hier überall an den Wä n den fanden. Ihr Blick huschte ständig umher, ganz so, als suche sie nach etwas.
Nach einigen Minuten wurde es schlagartig du n kel. Manon erschrak. Sie hatte nicht darauf geachtet, was der Fremdenführer gesagt hatte, und befürchtete einen Stromausfall. Das erwartungsvolle Raunen der anderen Besucher ließ sie den Irrtum jedoch schnell erkennen. Offenbar folgte jetzt der im Prospekt b e schriebene Höhepunkt der Führung; eine Simulation des Sonne n lichteinfalls am Tag der Wintersonne n wende. Manon drehte sich um, und wirklich, über dem Tunnel, durch den sie in die Grabkammer g e langt waren, zeigte sich ein schwacher Lichtschein, der wie bei einer echten Sonne langsam immer he l ler wurde. Als die falsche Sonne direkt vor dem Lichtschacht stand, der oberhalb des Tunnels verlief und in einem kleinen Fenster über der Eingangstür mündete, wurde die Grabkammer jäh von einem gleißenden Licht erhellt. Ein ehrfürchtiges Raunen erfüllte den Raum, und auch Manon beobac h tete gebannt das gleißende Schauspiel.
Doch der Augenblick des Lichts währte nur kurz. Die falsche Sonne wanderte weiter, und es wurde wi e der dunkel. Dann ging das elektrische Licht an. Der Fremdenführer bedankte sich bei den Gästen höflich für das Interesse, wünschte eine angenehme Heimreise und bat alle, ihm nun wieder hinaus zu folgen.
Die Besucher drängten zum Ausgang. Schweigend und sichtlich ergriffen von den grandiosen Eindr ü cken, die sie von dem Besuch in Newgrange mit nach Hause nehmen würden, gingen sie an M a non vorbei, die auf Sandra warten wollte. Als das Licht erlosch, hatte sie noch ganz in ihrer Nähe g e standen, jetzt aber konnte Manon ihre Freundin ni r gends entdecken. Der letzte Besucher ging an ihr vorbei. Dann war die Hö h le leer.
»Sandra?« Manon flüsterte fast. Sie erhielt keine Antwort. »Sandra? Bist du noch da?«
Nichts.
Manon spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Die anderen Besucher waren noch nicht weit entfernt, aber schon jetzt hatte es etwas Beklemmendes an sich, allein in der Grabkammer zu stehen. Sie scha u te sich um, konnte Sandra aber nirgends entdecken. Vielleicht ist sie hinausgegangen, als es dunkel war, und wartet draußen auf mich, überlegte Manon. Der Gedanke gefiel ihr. Sie drehte sich um und wollte die Kammer verlassen, da hörte sie aus einem der hinteren Winkel ein Geräusch, das sich wie ein le i ses Seufzen anhörte.
***
Sobald Sandra die Fingerspitzen auf eines der Sy m bole an den Wänden legte, spürte sie die enormen Ene r gien, die sich an diesem Ort zusamme n ballten. Das leichte Kribbeln in den Fingern war draußen an dem großen Stein vor dem Eingang kaum spürbar gewesen. Im Innern des Grabes
Weitere Kostenlose Bücher