Königin der Schwerter
dem Ei n gang des Grabes betrachtete.
»Sag mal, träumst du?« Manon fasste Sandra an der Schulter und spürte, wie diese zusammenzuckte.
»Was ist?« Sandra fuhr herum, und Manon prallte erschrocken zurück. Sandras Gesicht glich einer ble i chen Maske. Die Lippen waren zu dünnen Str i chen zusammengepresst. Die Haut unter den Augen wirkte wächsern. Für den Bruchteil eines Auge n blicks glaubte sie, einem Geist gegenüberzustehen, doch der Ei n druck schwand so schnell, wie er g e kommen war, und schon nach dem nächsten Bli n zeln war es wieder die freundliche und vertraute Sandra, die da im Licht der untergehenden Sonne stand. »Was ist los?«, fragte sie. »Warum starrst du mich so an?«
»Ich … ich dachte, du wärst …«, stammelte M a non. »Ähm, du hättest … Ach, lassen wir das.« Sie fuhr sich mit den Händen müde über das Gesicht. »Mir scheint schon den ganzen Tag die Sonne auf den Kopf, da muss man ja verrückt werden.« Sie lachte, in der Hoffnung, dass es nicht allzu gekün s telt wirkte, während sie tief in sich noch immer den Nachhall des Entsetzens spürte, das der gruselige Anblick bei ihr geweckt hatte.
Manon hatte bisher kaum ein Wort darüber verl o ren, aber seit Sandra den hässlichen Affen ersteigert hatte, hatte sie sich auf beängstigende Weise verä n dert. Diese Veränderung war nicht wirklich greifbar; für Manon aber, die Sandra schon seit vielen Jahren kan n te, war sie deutlich zu spüren. In Blicken, Bemerku n gen und kleinen Gesten, die weniger herzlich als sonst und dafür reserviert und kühl, ja, manchmal sogar herrisch und aufbrausend ausfielen. Sandras Gehabe um den Affen war zudem reichlich kindisch. Manon hatte sie nicht danach gefragt, aber die verr ä terische Ausbuchtung in Sandras Rucksack war ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass sie den Affen auch auf die Tour zum Hügelgrab mitgenommen hatte.
Zu gern hätte Manon gewusst, was hinter alledem steckte. War Sandra vielleicht Opfer einer geheimni s vollen Sekte geworden? Manon war sich inzw i schen sicher, dass der Affe der Auslöser der Verä n derung war, hatte bisher aber keine vernünftige E r klärung dafür finden können, wie all das zusamme n hängen mochte.
Nach außen hin gab sie sich locker und versuchte, Sandra ihr Unbehagen nicht spüren zu lassen. Tatsäc h lich aber hatte sie große Angst, ihre Freundin zu verli e ren. Sandra war für sie wie eine Schwester, die sie als Einzelkind niemals gehabt hatte. Nach der Scheidung ihrer Eltern war Sandra ihr nicht nur die beste Freu n din gewesen, sondern auch eine Vertra u te im Kampf gegen Kummer und Einsamkeit. Als ihre Mutter dann ein paar Jahre später gestorben war, war es wieder Sandra gewesen, die ihr mit ihrer warmherzigen Art Halt und Trost gegeben hatte. All das und noch viel mehr hatte Manon dazu bewogen, Sandra nicht allein nach Newgrange reisen zu la s sen.
»Es geht weiter.« Jemand tippte ihr auf die Schu l ter und riss sie aus ihren Gedanken.
»Na endlich.« Manon zwinkerte Sandra zu, aber diese schien sie wieder nicht zu hören. Ihr Blick ruhte wie hypnotisch auf dem finsteren Eingang des gewalt i gen Ganggrabes, als könne sie in den Scha t ten etwas sehen, das Manon verborgen blieb.
Die Angestellten am Eingang wiesen die Bes u cher an, sich in einer Reihe aufzustellen und hinte r einander zu gehen, da es im Innern sehr eng sei. B e vor es ins Herz des monumentalen Bauwerks ging, hielt eine junge Fremdenführerin noch einen kurzen Vortrag über die Abmessungen, Bauweise und Au s stattung des Grabes sowie dessen Entstehungsg e schichte. Manon gab sich interessiert, hörte aber gar nicht richtig zu. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Sandra, auf deren Stirn sich kleine Schweißtropfen gebildet hatten, o b wohl sich die Luft mit einsetzender Dämmerung deu t lich abgekühlt hatte. Ihr Atem ging stoßweise, und sie zitterte.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich e i ne freundliche Angestellte von Newgrange bei Sandra. Als diese nicht antwortete, richtete die Frau das Wort stirnrunzelnd an Manon. »Geht es Ihrer Freundin nicht gut?«
»Oh, doch … sie … sie hat nur Angst, es könnten Spinnen im Grab sein. Sie hat nämlich eine ausgeprä g te Spinnenphobie.«
»Spinnen?« Die Frau lachte. »Da können Sie unb e sorgt sein. Ich hatte nur Sorge, Ihre Freundin kö n ne die Enge nicht vertragen. Gäste mit Platzangst sollten besser nicht in das Grab hineingehen. Die Gänge sind teilweise sehr eng.«
In diesem Augenblick
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