Königin der Schwerter
Opfer der Verdammten geworden?
Tendor erwiderte den Blick offen und ohne Scheu, vor allem aber ohne ein grünes Leuchten in den A u gen. »Du bist zu bescheiden«, sagte er.
»Nein, das bin ich nicht.« Aideen schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht freiwillig hier.«
»Nun, auch bei uns sind Befehle widerspruchslos auszuführen, selbst wenn man lieber etwas anderes tun möchte«, sagte Tendor leicht belustigt. »Aber freiwillig oder nicht, wichtig ist die Botschaft, die du uns bringst. Du sagtest der Wache, sie sei von Zar i fe. Ich nehme an, sie will uns mitteilen, wann wir losschlagen sollen, oder?«
Aideen schaute wieder zu Boden. »Verzeiht, dass ich Euch enttäuschen muss«, sagte sie so leise, dass es kaum zu verstehen war. »Aber das ist es nicht, was ich Euch sagen will.«
»Nicht?« Tendor zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe. »Was ist es dann? Nachdem wir so la n ge auf sie gewartet haben, ist uns jede Nachricht von Zarife willkommen.«
»Ich fürchte, diese ist es nicht.« Aideen klopfte das Herz bis zum Hals. Sie wusste nicht, wie Tendor re a gieren würde, wenn er hörte, was sie zu berichten wusste, und ihre Stimme wurde vor lauter Angst noch leiser. Sag es, sprach sie sich in Gedanken Mut zu. Er ist nett. Sag es ihm. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte: »Es ist alles ein furchtbarer Ir r tum. Die Prophezeiung, die Legenden, ja selbst Zarifes Leichnam, den wir die Jahrhunderte über gepflegt haben … Alles ist falsch. Sie hat uns belogen und au s genutzt. Uns alle.« Unsicher, ob sie weitersprechen sollte, verstummte Aideen und schaute Tendor an. Der Anführer der Rebellen saß ihr mit versteinerter Miene gegenüber. Nicht die kleinste Regung auf se i nem Gesicht ließ darauf schließen, was er fühlte oder dachte.
»Das sind ungeheure Anschuldigungen, die du da vorbringst«, sagte er schließlich. »Hast du dafür Bewe i se?«
»Genügend.« Aideen nickte. Dann begann sie zu erzählen.
Mit knappen und viel zu hastig vorgetragenen Worten berichtete sie Tendor von der misslungenen Anrufung, von Bethias Tod und der Ermordung der Oberin. Auch die Verdammten aus der Welt der T o ten, das seltsame Ereignis am nächtlichen See und ihre Befürchtung, dass Tisea und Peme offenbar von jenen Wesen besessen seien, die Zarife ins Land gerufen ha t te, ließ sie nicht aus. Sie war sehr froh, dass die W a chen es Tisea und Peme verboten hatten, dabei zu sein. Nie hätte sie es gewagt, in deren A n wesenheit so offen zu sprechen. Sie wollte gerade von den Me n schen mit den grün schimmernden A u gen berichten, die ihr im Lager aufgefallen waren, da klopfte es an der Tür, und einer der Wächter trat ein.
»Nicht jetzt!«, polterte Tendor los. Er wirkte ang e spannt und verfolgte aufmerksam jedes Wort von A i deen.
»Verzeiht, Tendor. Sie sagen, es sei äußerst dri n gend und dulde keinen Aufschub.«
»Wer sagt das?« Tendor war noch immer ungeha l ten über die Störung.
»Bjarkar und der Waldläufer«, erwiderte der Wäc h ter. »Sie wollten mir nichts erzählen, behau p ten aber, das Lager sei in höchster Gefahr.«
Tendor seufzte: »Also gut, lass sie herein. Aber w e he ihnen, wenn sie meine Zeit mit belanglosen Dingen vergeuden.«
»Das würden wir niemals wagen.« Noch ehe der Wächter etwas sagen konnte, sah Aideen, wie sich ein großer, breitschultriger Mann an ihm vorbei in den Raum schob. Staunend starrte sie auf den wüsten r o ten Bart und das lange gleichfarbige Haar des Kriegers. Das ist ein Barbar, war ihr erster Gedanke. Sie hatte den Ausdruck schon oft gehört, sich aber nie etwas darunter vorstellen können. Dieser Mann schien es genau zu treffen, wenngleich er sich nicht barbarisch benahm.
»Ehrwürdige«, sagte er an sie gewandt, deutete eine höfliche Verbeugung an und richtete das Wort sodann an Tendor. »Wir müssen dringend reden«, sagte er mit einem kurzen Seitenblick auf Aideen, den sie sehr wohl bemerkte. »Allein.«
»Sie bringt Neuigkeiten aus dem Hochland«, erw i derte Tendor. »Von Zarife. Ich wüsste nicht, was wichtiger sein sollte.«
»Hákon und ich haben beunruhigende Dinge aus dem Lager zu vermelden«, sagte der Bärtige auswe i chend. »Sehr beunruhigende.«
Hákon! Aideen zuckte zusammen. Ihr Herz b e gann wie wild zu pochen, und eine zarte Röte schoss ihr ins Gesicht. War es möglich, dass …
Sie blickte sich um – und sah ihn, den jungen Waldläufer, dem sie zusammen mit Bethia im Hoc h land begegnet war. Zögernd betrat
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