Königin der Schwerter
noch miteinander im Bunde stehen, ist mir zu groß. Bedenke, dass wir Zarife im Notfall töten müssen. Das würde sie gewiss nicht z u lassen.«
»Wir müssen ihr ja nicht erzählen, dass wir Zarife töten wollen«, wandte Aideen ein. »Es genügt, wenn sie um die Bedrohung weiß und dass wir das Tor schließen wollen. Ich hätte sie gern dabei; auch wenn ihr Nutzen noch nicht offensichtlich ist und ich Bja r kars Bedenken teile, so spüre ich doch, dass sie uns eine Hilfe sein könnte.«
»Oder eine Last«, knurrte Bjarkar.
»Sie wirkt verwirrt«, gab Tendor zu bedenken. »O f fenbar glaubt sie immer noch, in ihrer eigenen Welt zu sein.« Er schaute Hákon an. »Was meinst du?«
»Ich denke, wir sollten mit ihr sprechen«, sagte Hákon. »Es gilt gut abzuwägen. Tatsächlich könnte sie uns wertvolle Hinweise geben, aber wie Bjarkar sehe auch ich eine gewisse Gefahr.«
»Gut.« Tendor nickte. »Dann werdet ihr sie noch heute Abend aufsuchen und mit ihr reden. Wenn ihr sie für geeignet haltet und sie bereit ist, euch zu begle i ten, soll es so sein. Wenn nicht, bleibt sie im Lager.«
35
Gehüllt in eine warme Decke, saß Manon inmi t ten des Rebellenlagers. Sie hatte den Rücken an e i nen Baumstamm gelehnt und beobachtete, wie die Nacht von Osten heraufzog, während sich die Sonne irgen d wo im Westen hinter den Horizont senkte. Ihre Stra h len fielen als rotgoldene Streifen durch die bunt g e färbten Baumkronen bis in die dunkelsten Winkel des Lagers, doch die Schatten gewannen alsbald die Obe r hand.
Es war ein kühler, aber schöner Abend, friedlich und still. Manon dachte an zu Hause und stellte sich vor, wie ein solcher Sonnenuntergang in lauen Herbstnächten am Latinger See sein würde. Wenn sich die Farben der Jahreszeiten in wildem Durc h einander auf der glatten Oberfläche des Sees spiegelten, wä h rend die hektischen Geräusche der Stadt langsam ve r stummten. Daheim in Latingen wäre sie um diese Uhrzeit vermutlich gerade erst vom Joggen nach Ha u se gekommen, hätte die Fenster weit g e öffnet, um die kühle Abendluft hereinzulassen, und hätte sich ein leckeres Abendessen zubereitet. D a nach hätte sie es sich vor dem Fernseher bequem gemacht oder mit Sandra telefoniert.
Es wurde dunkel und die Nacht hielt Einzug in das Walddorf.
Ich wünschte, ich wäre daheim, dachte Manon traurig und stellte fest, wie sehr sie sich nach Hause zurücksehnte. Am Morgen hatte sie lange mit Te n dor geredet, dem Mann, der von sich behauptete, der A n führer des Haufens Verrückter zu sein, die hier unter mittelalterlichen Verhältnissen im Wald ca m pierten.
Tendor hatte ihr jede Frage ernst und sachlich b e antwortet. Sie hatte deutlich gespürt, dass er seine Ro l le nicht nur spielte, sondern lebte. Vermutlich hielt er das alles hier für die Wirklichkeit und hatte den Bezug zur realen Welt längst verloren. Mit ke i nem Wort war er auf ihre Anspielungen eingega n gen, mit denen sie hatte prüfen wollen, inwieweit er bereit war, über m o derne Errungenschaften wie Autos, Flugzeuge, D u schen oder auch nur Feuerzeuge zu sprechen. Die Antwort auf die Frage, wo es das nächste Telefon gab, war er ihr ebenso schuldig geblieben wie eine Auskunft über ein Hotel oder wenigstens ein Gasthaus ganz in der Nähe. Stattde s sen hatte er ihr irgendetwas von einem drohenden Krieg erzählt, von einer Propheze i ung, die sich a n geblich durch Sandra erfüllt hatte, und davon, wie sehr sich die Menschen nach einem Leben in Fri e den und bescheidenem Wohlstand sehnten.
Manon war nicht entgangen, wie ernst es ihm d a mit war. Offensichtlich war er von allem, was er sagte, zutiefst überzeugt. So wie jeder hier. Auch die Frauen, die sich um sie gekümmert hatten und die sich selbst als Heilerinnen bezeichneten, glaubten offenbar, dass ihr ärmliches und entbehrungsreiches Leben die Wir k lichkeit war. Mehr noch als die unzähligen Gewand e ten, die sich jedes Jahr in Latingen für ein Wochene n de zu einem Mittelalterspektakel trafen, um die ang e nommenen Rollen unter den damaligen Bedingungen nachzuspielen schienen die Menschen hier ihr Leben in völliger Isolation von der Außenwelt zu leben. Hö r te man auf dem Mitte l alterspektakel noch hin und wieder mal ein Handy klingeln oder sah einen Ritter mit einem Feuerzeug hantieren, gab es hier nichts, aber auch gar nichts, das an eine moderne Zivilisation erinnerte.
Die müssen komplett verrückt sein, dachte M a non und überlegte, wo im 21. Jahrhundert noch
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