Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
Märchen, ein Mythos.«
»Es ist so real wie das Leben und der Tod. Ihr, Prinz Kylar, seid der Erste, der seit mehr als zwanzig Jahren hier vorbeikommt. Wenn Ihr Euch ausgeruht habt und genesen seid, werden wir darüber sprechen, wie Ihr hergelangt seid.«
»Wartet.« Er hob die Hand, als sie die schwere, geschnitzte Tür öffnete. »Ihr seid keine Magd.« Jetzt fragte er sich, wie er sich jemals so hatte täuschen können. Das einfache Kleid, der fehlende Schmuck, die schlichte Frisur konnten nicht über ihre edle Haltung und gute Erziehung hinwegtäuschen.
»Ich diene«, entgegnete sie. »Und habe es mein Leben lang getan. Ich bin Deirdre, die Königin des Sees.«
Die Tür schloss sich hinter ihr, bevor er sich von seiner Verblüffung erholen konnte. Als Kind hatte er die Legende von der Rosenburg gehört, von dem Palast auf einer Insel, die einst in einem schönen, ruhigen See inmitten von üppigen Wäldern und fruchtbaren Feldern gelegen hatte. Verrat, Eifersucht, Rache und Zauberei hatten die Insel und alle, die dort lebten, zu ewigem Winter verdammt.
Eine Rose, die in einer Eissäule gefangen war, spielte auch eine Rolle, aber er konnte sich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern.
Natürlich war das alles Unsinn. Märchen, die den Kindern vor dem Einschlafen erzählt wurden.
Und doch war er durch eine bitterkalte weiße Welt geritten. Er hatte seine Schlacht im Hochsommer gekämpft und gewonnen. Wie hatte er sich dann in diese winterliche Welt verirren können?
Weil er in seinem Delirium zu weit nach Norden geraten war. Vielleicht in die Vergessenen Berge oder gar jenseits davon, wo die wilden Stämme riesenhafte weiße Bären jagten und die Höhlen noch von Drachen bewacht wurden.
Er hatte mit Männern gesprochen, die behaupteten, dort gewesen zu sein. Von dunklen, blauen Wassern war die Rede gewesen, die von Eisinseln übersät waren, und von baumhohen Kriegern.
Aber niemand hatte je eine Burg erwähnt.
Wie viel hatte er sich eingebildet oder geträumt? Entschlossen, sich selbst ein Bild zu verschaffen, warf er die Decken zurück. Schweiß trat auf seine Haut und seine Muskeln zitterten – eine Demütigung für jeden Krieger. Sich auf die Bettkante zu setzen, strengte ihn derartig an, dass er sich eine Weile ausruhen musste, um neue Kräfte zu sammeln.
Als es ihm schließlich gelang aufzustehen, verschwamm das Zimmer vor seinen Augen. Er kam sich vor wie unter Wasser. Seine Knie wollten unter ihm nachgeben, aber er griff nach dem Bettpfosten, und es gelang ihm, sich auf den Beinen zu halten.
Während er wartete, dass er wieder zu Kräften kam, sah er sich im Zimmer um. Die Ausstattung war einfach. Geschmackvoll, ja sogar elegant, bis man genauer hinsah und feststellte, dass die Stoffe vom Alter verschlissen waren. Truhen und Stühle waren jedoch glänzend poliert. Der verblichene Teppich war wunderschön gearbeitet, die Kerzenleuchter bestanden aus blitzendem Silber, und das
Feuer knisterte leise in einem aus Lapislazuli gemeißelten Kamin.
Mühsam und vorsichtig wie ein alter Mann tapste er zum Fenster.
So weit er sehen konnte, war die Welt dahinter weiß. Die Sonne war nur ein schwacher Schimmer hinter dem weißen Vorhang, der den Himmel verbarg, funkelte aber ein wenig auf dem Eis, das die Burg umgab. In der Ferne sah er die Schatten der Wälder, schwarze und graue Schatten, die im Schnee versanken. Im Norden, weit im Norden, ragten Berge auf. Weiß vor weißem Hintergrund.
Am Fuße der Burg bedeckte unberührter Schnee den Boden. Er sah keine Bewegung, keine Spuren. Kein Leben.
War er allein mit der Frau, die sich Königin nannte?
Dann sah er sie, königliches Rot inmitten dieser weißen Welt. Sie ging mit ausholenden, raschen Schritten – wie eine Frau, die zum Markt lief. Als hätte sie seine Blicke gespürt, hielt sie an, wandte sich um und sah zu seinem Fenster auf.
Er konnte ihr Gesicht nicht genau sehen, aber ihr erhobenes Kinn verriet ihm, dass sie verärgert war. Dann wandte sie sich erneut ab. Ihr leuchtend roter Umhang wehte um sie herum, als sie über den See zum Wald ging.
Am liebsten wäre er ihr nachgelaufen, hätte ihr Fragen gestellt, Erklärungen verlangt, aber er schaffte es kaum bis ins Bett, bevor er zusammenbrach. Zitternd von der Anstrengung schlüpfte er unter die Decken und schlief den ganzen Tag.
»Herrin, er verlangt wieder, Euch zu sehen.«
Deirdre ließ sich nicht von der Arbeit in ihrem so genannten
Garten ablenken. Ihr Rücken schmerzte, aber
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